KRITIK: Wer initiiert disruptive Innovationen: Start-ups oder Lead-User? Eine wirtschaftlich interessante Fragestellung. Denn ist die Innovation erst mal in der Welt, droht als nächstes die Marktbereinigung.
Zwei Hochschulprofessoren (Clayton Christensen oder Eric von Hippel – Wer hatte recht?) wollten es jedenfalls genauer wissen. Die Erkenntnis, dass sich große, erfolgreiche Unternehmen mit Disruptionen schwertun, hat Christensen seinerzeit bekannt gemacht. Vor die Wahl „Exploration oder Exploitation“ gestellt, fällt die Entscheidung zu oft zugunsten der Exploitation. Man ruht sich auf den Lorbeeren aus, hält sich für unverwundbar und verschließt die Augen vor Veränderungen. Das hat viele erfolgreiche Unternehmen auf die Verliererstraße geschickt – Nokia, Kodak, die DVD-Verleiher und wie sie alle heißen.
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Der Weg nach draußen
Selbst wenn die internen „Daniel Düsentriebs“ es anders wollten, das Top-Management bremst sie oft aus: Warum denn ändern? Es läuft doch super! – Da bleibt nur der Weg nach draußen: Start-up gründen! Das ist die Chance, so Christensen, alles auf diese Karte, weg mit dem Ballast der Vergangenheit. Doch auch das ist keine Garantie für den Erfolg. Von der kreativen Idee zur marktgerechten Innovation ist es oft eine weiter Weg. Manches Start-up bleibt auf der Strecke, oder wird vom Big Player später aufgekauft.
Eric von Hippel sieht die Sache mit den Innovationen anders. Er sagt, es sind die unzufriedenen Kunden, die für Innovationen sorgen. Sie beginnen zu basteln, zu hacken – und produzieren neue, bessere Lösungen. Manche machen sich damit selbstständig. Andere machen die Großen darauf aufmerksam. Auch für diese These sprechen zahlreiche Beispiele wie die Erfindungen von Kontaktlinse, Waschmaschine, Linux und so weiter.
Wer hat nun recht?
Ist das lediglich eine akademische Fragestellung? Oder eine für die Marktforschung relevante? In einem mehrjährigen Forschungsprojekt haben sich die Hamburger Forscher mit der Thematik beschäftigt. Die Ergebnisse: „Disruptive Innovationen wurden nur in weniger als der Hälfte der Fälle – zu 44 Prozent – ursprünglich von Unternehmen entwickelt, die zum Ziel hatten, die neuen Produkte im Markt zu vertreiben.“ Dazu zählten sie etablierte Unternehmen, aber auch neue Marktteilnehmer wie Start-ups. „Weitere 44 Prozent der disruptiven Innovationen hatten Kunden für ihren Eigengebrauch entwickelt.“ Und die restlichen 16 Prozent der Innovationen stammen von Forschungseinrichtungen oder einzelnen Tüftlern.
Na, denkt sich da der Leser, wie war das noch mit den Grundrechenarten? Wie zählen denn die Forscher? Wenn ich als Kunde (Hobbytüftler, Hausmann oder -frau) auf eine Idee komme und daraus ein Business mache, ist das was anderes, als wenn ich als Business auf die Idee komme? Aus einer patriarchalischen Perspektive betrachtet – wir sind die Experten, wir lösen die Probleme der Kunden – liest sich die Bilanz als Verlust: Wir bedienen nur knapp die Hälfte des Markts. Aus einer Kundenperspektive betrachtet sieht die Lage anders und entspannter aus – ich muss „das“ nicht studiert haben … Ich kann das auch – oder sogar besser.
Kleiner Denkfehler
Der Beruf als Unterscheidungsmerkmal (Hausarbeit ist keine Berufsarbeit) steht in der Kritik. Und damit auch die potenzielle Überheblichkeit der Experten und ihre heimliche Verachtung der „dummen, unbelehrbaren, lästigen“ Kunden. Ich übertreibe mal ein wenig … Aber vielleicht ist das hilfreich. Denn diese Unterscheidung fehlt im Beitrag. Will sagen, seine Fragestellung ist eigentlich eine falsche. Darum kann es nicht gehen, einen eindeutigen Sieger auszumachen. Und die Autoren lassen die Sache ja auch unentschieden ausgehen. So what? Ich sage: Augenwischerei.
Sie sagen, und reiten so aus der selbstgebauten Bredouille heraus, da wären halt noch drei differenzierende Aspekte zu beachten. Nach dem Motto: Es kommt drauf an:
- Die Rolle des Marktes: Von welchem konkreten Markt sprechen wir? Woher kommen Impulse, vom Anbieter oder vom Nachfrager?
- Die Art der Disruption: Geht es um Technologien oder Funktionalitäten? Genauer wäre wohl von sozialen Innovationen zu sprechen, was die Autoren aber nicht tun.
- Die Rolle des Nutzungssystems: Damit sind systemische Abhängigkeiten gemeint. Die Erfindung muss auch in die Welt passen, technische wie soziale Schnittstellen müssen funktionieren, damit es eine Innovation werden kann.
Also, gestehen die Autoren selbst ein: Keine der beiden Theoriealternativen löst das grundsätzliche Problem. Den Hersteller geben sie den Rat mit auf den Weg: Vertrauen Sie auf ihre Innovationskraft, bremsen Sie ihre F&E-Leute nicht aus. Fragen Sie ihre Kunden nach Ideen. Arbeiten Sie mit den besten Kunden zusammen.
Kein Wort verlieren die Autoren über Open Innovation (Zu blauäugig?) oder Prosumer – das Kunstwort, das versinnbildlicht, dass Menschen doch Produzenten und Konsumenten zugleich sind. Und das verwundert. Denn die gezielte Einbindung von Kunden in den Entwicklungsprozess ist doch nicht neu. Und es gibt auch schöne Beispiele dafür (Pizza, Peanuts, Pralinen).
Aber vielleicht liegt das eigentliche Problem auch an anderer Stelle: Wer bremst denn die F&E intern aus? Sind es nicht die Leute auf dem C-Level? Die selbst nicht mehr einkaufen gehen, nicht mehr kochen, waschen, putzen … Wie fragte schon weiland Mao Tsetung im kleinen roten Büchlein: „Woher kommen die richtigen Ideen der Menschen? Fallen sie vom Himmel?“ Und Steve Jobs könnte ergänzen: „Stay hungry, stay foolish!“