INSPIRATION: Keine Intervention ohne Diagnose! Das wird oft auch im Coaching gefordert. Und hat definitiv seine Berechtigung. Doch kann man es offensichtlich auch übertreiben. Was wäre, wenn hier eine tückische Falle lauern würde?
Die Autoren (Diagnostische Instrumente im Führungskräfte-Coaching) arbeiten seit langem, nicht nur im Coaching, auch in der Organisationsentwicklung, mit Fragebögen und anderen diagnostischen Instrumenten. Für einige haben sie sich sogar zertifizieren lassen. Doch inzwischen, bekennen sie, werden sie immer zurückhaltender, was den Einsatz solcher Instrumente betrifft.
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Das lässt aufhorchen! Denn der Erstautor ist wahrhaftig kein Unbekannter. Als Coach-Ausbilder und Direktor ist er seit 20 Jahren am Hult Ashridge Center for Executive Coaching tätig. Zudem ist er Professor für Organisationsentwicklung an der Freien Universität Amsterdam. Und er hat die viel beachtete und zitierte „Greatest Ever“-Coaching-Studie durchgeführt (Wirkungsvolles Executive-Coaching).
Auf der Suche nach der Objektivität
„Unter diagnostischen Instrumenten verstehen wir alle Instrumente und Interventionen, die für sich in Anspruch nehmen, einen Einblick in die persönlichen Präferenzen, zwischenmenschlichen Bedürfnisse, Werte, Motivationen, Einstellungen, Verhaltensweisen oder andere weniger gebräuchliche Konzepte im Zusammenhang mit menschlichen Eigenschaften zu geben.“ Natürlich ist der Einsatz von diagnostischen Instrumenten keine schlechte Idee, so die Autoren. Wenn sie auf einer wissenschaftlichen Theorie basieren und über statistische Gütekriterien verfügen, kann man sie professionell einsetzen. Aber man positioniert sich damit zugleich als Experte und stellt sich über den Klienten. Das kennen wir aus dem psychotherapeutischen Kontext. So wartet auch ein Klassiker (Diagnostik im Coaching) mit einer umfangreichen Anamnese auf. Aber man kann sich zurecht fragen: Brauchen wir das im Coaching?
„Ich verwende Diagnosen eigentlich überwiegend, um Leute zu beschimpfen,“ stichelt Altmeister Fritz B. Simon (Wozu Diagnosen?). Und sein nicht minder berühmter Kollege Gunther Schmidt erläutert den Gedanken etwas weniger provokativ: „Ich glaube nicht an Diagnosen. (…) Eine Diagnose ist ein Mittel zum Zweck, die die Gefahr mit sich bringt, so wie sie üblicherweise gemacht wird, etwas festzuschreiben. Ich bin aber an dynamischen Prozessen interessiert. (…) Deshalb bemühe ich mich ständig, Diagnosen zu verflüssigen“ (Diagnosen im Coaching).
Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners (von Foerster)
Die Abneigung gegen Diagnostik gehört zum Urgestein systemischen Denkens. Weil man die sogenannte Augenhöhe verliert und damit den Klienten zum Patienten macht. Mit dieser Weigerung setzte man sich früh gegen Positionen anderer Psychotherapie-Schulen ab, wie das schon Carl Rogers getan hatte: Eine emanzipatorische Geste, insbesondere in Richtung Psychoanalyse oder Behaviorismus.
Aber: Man kann nicht nicht diagnostizieren. So könnte man – in Anspielung auf das 1. Kommunikationsaxiom von Watzlawick und Co. – einwenden. Das aus dem Griechischen stammende Wort „diagnoskein“ bedeutet nämlich „erkennen und unterscheiden“. Das wissen natürlich auch Systemiker:innen und betonen, dass Diagnosen für sie bloß Hypothesen seien. Deren Nützlichkeit würden Coach und Klient gemeinsam – auf Augenhöhe – untersuchen. Das macht einen Unterschied.
Die Autoren de Haan und Metselaar teilen dieses Unbehagen an der Expertenrolle und fordern, „dass wir möglichst offen in eine Beziehung eintreten, nicht vorgeprägt durch das, was wir wissen und können, um so in irgendeiner Weise mit den Zweifeln und Vulnerabilitäten unserer Klienten in Berührung zu kommen.“ Sie sagen damit nichts gegen die klassischen Gütekriterien solcher wissenschaftlich entwickelten diagnostischen Instrumente wie: Objektivität, Validität und Reliabilität. Sie führen allerdings an, dass der Einsatz solcher Diagnoseinstrumente im Coaching bislang noch nicht quantitativ untersucht worden sei. Was nichts anderes bedeutet als: Wir wissen nicht definitiv, ob die Methode X gegenüber anderen Methoden einen Vorteil bringt.
Kommerzielle Gründe
An der Stelle sollte man einmal tief durchatmen. Denn indirekt bringen die Autoren damit weitere Gütekriterien ins Spiel, die inzwischen auch in der Eignungsdiagnostik diskutiert werden: Ökonomie und Akzeptanz (Inkompetenzkompensationskompetenz). Und damit geben sie ihrer Kritik am Tool-Einsatz noch einmal eine andere, und zwar schärfere Perspektive. Weil sie „kommerzielle Überlegungen, praktische Erwägungen oder persönliche Erfahrungen und Vorlieben“ thematisieren. „Man kann sich gut vorstellen, dass Coaches häufiger die Verwendung eines bestimmten Instruments vorschlagen, wenn sie mit diesem Instrument vertraut sind, und noch häufiger, wenn sie ein lizensierter Benutzer des Instruments sind.“
Jetzt ist es raus – ein böser Verdacht steht im Raum! Wenn der Coach viel Geld ausgeben muss, um eine Lizenz zu erwerben, dann muss sich das lohnen. Das tut es auf mehrere Arten: Je häufiger die Coach das Instrument einsetzt, für das sie sich teuer hat lizensieren lassen, desto mehr amortisieren sich die Kosten. Und damit geht der zweite Effekt einher: Warum soll man sich mit noch weiteren Verfahren beschäftigen? Man hat das doch schon mit einem ausführlich getan. Daher darf man sich nun entspannt zurücklehnen und auf seinen Lorbeeren ausruhen. Zumal man (ad 3.) mit diesem Instrument vertraut ist und sich wohl fühlt. Solche Zusammenhänge wurden im klinischen Bereich schon untersucht und bestätigt.
Es scheint nicht das Instrument oder die Methode zu sein, die den Unterschied macht, sondern der Glaube an eine Heuristik. In der Psychologie nennt man das: Rechtfertigung des Aufwands. Wer mag schon zugeben, dass er sich getäuscht hat und viele tausend Euro aus dem Fenster geworfen hat? Oder zum Rentenbeginn seinen Kollegen, Kunden, Klienten zu offenbaren: „Wenn ich es mir so recht überlege, dann habe ich ein Arbeitsleben lang mit einer wenig wirksamen Methode gearbeitet. Sorry … nichts für ungut. Ich hoffe, ihr hattet trotzdem irgendwas davon …“ Wer an dieser Stelle schluckt, der mag sich dann die Ausführungen der Autoren zum MBTI, OPQ, pferdegestützen Coaching oder Aufstellungsarbeit zu Gemüte führen.
Kunst oder Handwerk? – Kunsthandwerk?
Coaching-Klienten haben in der Regel nicht die Kompetenz, den Verfahrenseinsatz zu bewerten. Aber wäre es nicht angemessen, der Coach würde sie über „Risiken und Nebenwirkungen“ oder – auch nicht zu verachten – Alternativen aufklären? Würde man solches von einem Arzt, Architekten oder Heizungsbauer nicht auch erwarten? Es geht hier um Verantwortung. „Wir glauben, dass wir uns als Coaches darauf konzentrieren sollten, dem Klienten zu helfen, seine eigenen Wahrheiten zu finden, und dass wir es vermeiden sollten, ihnen unsere eigenen Perspektiven aufzudrücken.“ Mit diesem Fazit stehen die Autoren mitten in der systemischen Tradition: „Vermehre die Möglichkeiten“ so das alte Motto Heinz von Foersters.
Wer diagnostische Mittel einsetzt will etwas wissen. Vielleicht auch eine Deutungsmöglichkeit bekommen.
Entscheidend ist wer will oder soll etwas wissen? Der Coach oder sein Kunde.
Wenn ich akzeptierte Digagnosemittel einsetze, ist dem nichts zu verneinen.
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Der Test und die Analysen sind nicht teuer.