PRAXIS: Wir klagen ständig, keine Zeit zu haben. Die klassische Antwort: Zeitmanagement. Das aber ist Sache des Einzelnen, entsprechend gibt es zahllose Ratgeber und Trainings. Doch Zeitmangel hat immer etwas mit dem Umfeld zu tun. So die Kernaussage des 1. Teils einer Serie über Managementeinsichten von Niklas Luhmann in der managerSeminare (Zeitmangel ist ein soziales Problem).
Wieso? Weil die meisten Termine in unserem Kalender nicht selbst ausgewählt sind. Sie sind zumindest zusammen mit anderen vereinbart worden. Und verbunden mit diesen Terminen sind in der Regel „Deadlines“. Fristen, bis zu denen etwas fertig werden muss: Eine Präsentation, ein Entwurf, ein Vorschlag, eine Berechnung, das Ergebnis einer Recherche usw. Interessanter Aspekt: Es lässt sich zweifelsfrei feststellen, ob etwas pünktlich abgeliefert wurde. Deshalb spricht Luhmann von „einem verzerrten Primat kontrollierbarer Verhaltensaspekte“. Gemeint ist, das wir daran gemessen werden, ob wir etwas zeitgerecht fertigstellen – einfach weil es gut zu messen ist. Die Qualität, Originalität, Kreativität der abgelieferten Entwürfe ist deutlich schwieriger zu erfassen. Und das führt dazu, dass Pünktlichkeit höchste Priorität hat: Das, was mit einer Deadline versehen ist, ist dringlich und deshalb wichtig. Ohne Deadline keine Dringlichkeit.
Wenn die Deadline die Originalität umbringt
Ein einfaches Beispiel: Sie sitzen mit geschlossenen Augen in Ihrem Büro und denken nach. Ihr Chef fragt Sie, ob Sie Zeit für eine bestimmte Aufgabe haben. Wenn Sie sagen: „Nein, leider nicht, ich denke grade über eine neue Idee nach!“, werden Sie diese Zeit kaum verteidigen können. Die Antwort wird lauten: „Das können Sie auch später noch machen“. Anders sieht es aus, wenn Sie sagen können: „Ich sitze gerade an der Präsentation zu XY, die bis morgen fertig sein muss“. Soll heißen: Wer nicht an dringlichen Dingen arbeitet, hat Zeit, und diese kann verplant werden. Alles andere kann ja warten.
So werden also weitere Termine gemacht und noch mehr Termine und der Zeitdruck steigt. Mit der Folge, dass der Druck in der ganzen Organisation steigt, was sich im sozialen Umgang bemerkbar macht. Der Ton wird rauer, statt über Vereinbarungen wird über Befehle geführt. Und auf der Sachebene wird auf Lücke gesetzt. Die Aufgaben werden so gut es eben geht bearbeitet oder man lässt Dinge weg. Was später wieder zu Zeitkosten führt, zu Nacharbeiten und Fehlersuche.
Tricksereien
Was tun? Laut Luhmann hat der Einzelne die Möglichkeit zu tricksen. Man erfindet Termine, die es nicht gibt. Oder man steigert den Zeitdruck noch, indem man noch mehr Aufgaben an andere verteilt, bis niemand rechtzeitig fertig wird und die eigenen Vorschläge kritiklos übernommen werden. Was aber später wieder zu Folgekosten führt …
Was sicher schlauer ist: Freie Zeit für Aufgaben vereinbaren, die ohne Zeitdruck bearbeitet werden können. Hört man ja manchmal von einigen Unternehmen, wo das sogar offiziell existiert: Mitarbeiter haben das Recht, X Prozent ihrer Arbeitszeit für eigene Projekte zu nutzen. Das wird in der Praxis wohl nur dann funktionieren, wenn die Organisation auch so etwas wie sitzungsfreie Zeiten einrichtet. Denn was hilft es, wenn man zwar offiziell 20% seiner Zeit zur eigenen Verfügung hat, aber ständig Meetings stattfinden, für die wiederum Termine eingehalten werden müssen?
Gibt es so etwas bei Ihnen? Dass Mitarbeiter darauf verweisen können: „Sorry, am Mittwoch ist meine ‚dringlichkeitsfreie‘ Zeit, da nehme ich an keinem Meeting teil?“