PRAXIS: Eine Entscheidung ist gefallen, alle sind zufrieden. Schön wär’s. Selbst wenn alle Beteiligten eingebunden waren, bedeutet das noch nicht, dass auch alle Meinungen geäußert wurden. Falls doch, heißt es nicht, dass alle gehört wurden. Manchmal steht die Entscheidung schon vorher fest, manchmal fällt sie nach dem Motto: ”So, genug diskutiert, irgendwann muss mal Schluss sein!”. Und alle reihen sich ein, mehr oder weniger glücklich, Hauptsache, es geht weiter.
Einreihen ist das Stichwort. Wie bei einer Polonaise. Das sieht ganz harmonisch aus, aber ob die Entscheidung wirklich die beste ist, bleibt fraglich (Aus der Reihe tanzen?). Der eine hat sich vielleicht nicht getraut, seinen Standpunkt deutlicher zu machen. Eine andere ist vielleicht unsicher, ob die eigene Perspektive von Bedeutung ist. Ein Dritter flüchtet in Sarkasmus und äußert sich nur noch abfällig. Und dann ist da die Führungskraft, die sich schwertut, wirklich offen für vielfältige Perspektiven zu sein. Hier zwei Übungen, die genau diese Fähigkeit zur Offenheit stärken und fördern.
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Positives Framing
Die erste ist für die Führungskraft selbst, sei es als ”Selbstcoaching” oder mit einem Coach. Ganz Mutige könnten die Fragestellung auch in ihr eigenes Team tragen und dort ”positiv framen”. Stelle ich mir spannend und auch unterhaltsam vor.
Die Übung geht wie folgt: Zunächst wird nach Situationen geschaut, in denen jemand empfindlich auf Reaktionen zu eigenen Ideen, Vorschlägen oder allgemeinen Äußerungen reagiert. Die Fragen könnten lauten: ”Wie geht es mir, wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin mich kritisiert, mir widerspricht, den Nutzen meines Vorschlages in Frage stellt? Was ist mein erstes Gefühl? Was geht mir dann spontan durch den Kopf?“
Im zweiten Schritt überlegt man sich positive Framings, oder entwickelt sie zusammen mit dem Coach (oder eben gemeinsam im Team). Also z.B.: ”Neue Perspektiven finde ich spannend, denn sie vergrößern den Lösungsraum!”. Oder: ”Kritik, die nicht geäußert wird, ist wie ein gefährliches U-Boot. Eine Krititk, die offen geäußert wird, ist etwas, auf das ich reagieren kann!”. Auch denkbar: ”Wenn ein Mitarbeiter mich kritisiert, ist das kein Mangel an Loyalität, sondern ein Zeichen von Vertrauen!”.
Im dritten Schritt überlegt sich die Führungskraft, welche der gefundenen positiven Framings ihr besonders zusagen, formuliert sie noch einmal mit eigenen Worten und notiert sie. Hilfreich ist es, wenn sie diese vor jedem neuen Meeting hervorholt und sich durchliest.
Sportlich nehmen
Zurück zur Polonaise. Oder besser zum Pogo. Erinnert sich noch jemand daran? Dieser wilde Tanz bei Punk-Konzerten, bei dem die Zuschauer wild herumhüpften und sich gegenseitig anrempelten? Die Metapher stammt von der Kybernetikerin Gitta Peyn.
Die Idee ist einfach: Wäre es möglich, emotionale, mitunter auch grenzwertige Äußerungen eher sportlich zu nehmen? Quasi als Rempler, der nicht böse gemeint ist, sondern einfach zum Miteinander dazu gehört? Und bei dem man, wie beim Pogo, dem anderen, der durch diesen Rempler ins Straucheln gerät, wieder auf die Beine hilft, um anschließend (sachlich) weiter zu diskutieren?
Die Übung dazu: Im ersten Schritt werden emotionale Botschaften beispielhaft in die Gruppe gegeben: ”Was für ein blödsinniger Vorschlag!” ”Das ist mir jetzt zu blöd!” ”Das geht ja gar nicht!” Und zu jedem der vorgestellten Sätze mögliche Antworten, die unmittelbar zur Sacheebene führen – dem anderen also die Möglichkeit geben, dem ”Angerempelten” beim Aufstehen zu helfen.
Also: ”Das geht ja gar nicht!” – ”Was genau an dem Vorschlag ist für dich nicht durchführbar?“
Oder: ”Das ist mir jetzt zu blöd!” – ”Entscheide einfach selbst, ob du weiter an der Diskussion teilnehmen möchtest!“
Anschließend kann man weitere ”Rempler” vorstellen, z.B.: ”Ich habe keine Lust mehr zu diesen endlosen Diskussionen!” oder ”Das haben wir doch schon 100 mal diskutiert!“
Gemeinsam wird hier nach möglichen Antworten gesucht. Um dann im dritten Schritt weitere emotionale Äußerungen zu sammeln, die das Team aus ihren täglichen Erfahrungen miteinander kennt. Und dazu passende Antworten entwickelt.
Ergänzender Hinweis: Es könnte eine wertvolle Debatte entstehen, welche Äußerungen nicht mehr als hamrlose Rempler zu verstehen sind und wie mit diesen in Zukunft umgegangen werden sollte.
(Aus: Dorette Lochner / Sybille Kuwert – Offen mit Methode. managerSeminare, 09/2025, S. 62-71)
