INSPIRATION: Lange hat man in Fachmedien wenig bis nichts über Psychodrama gelesen. Aber viel über Aufstellungen. Der Hype über Aufstellungsarbeit ist inzwischen deutlich abgeebbt. Die Kritik an der Methode spricht Bände. Der umstrittene Guru Bert Hellinger ist verstorben. Zeit für eine Wiederentdeckung des Psychodramas, das auf den Wiener Psychiater Levy Moreno zurückgeht, den man in einem Atemzug mit Siegmund Freud oder Viktor Frankl nennen kann.
Die Hochzeit des Psychodramas war in den 1970er/80er-Jahren. Dann wurde es still um die Methode. Vermutlich auch wegen der geschickten Okkupation des Gedankenguts durch die Aufstellungsszene rund um Hellinger, die die Methode zudem gerne als „systemisch“ ausflaggte. Was auch die Systemiker oft nervte, weil Aufstellungen für sie bloß eine Methode unter anderen ist und systemisches Arbeiten weit mehr umfasst. Durch den Bezug zur Systemtheorie hat systemisches Arbeiten – im Gegensatz zum Aufstellungspragmatismus – eine wissenschaftliche Basis. Mit der Vereinnahmung durch die Aufstellungsaktivisten wurde systemisches Arbeiten ungewollt in eine bestimmte, effekthascherische Ecke gestellt.
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Soziodrama
Die Autoren (Durch Spielen das schwer Greifbare besprechbar machen) gehen vor diesem Hintergrund geschickt vor, wenn sie das Thema mit einem neuen Begriff reframen: Soziodrama. Das ist nicht falsch, weil von Moreno auch das Soziogramm stammt – auf dessen Logik, was die wenigsten wissen, die ganze Social-Media-Welt aufbaut. Und auch Rollenspiele gehen, sozusagen als Light-Version des Psychodramas, auf Moreno zurück.
Die ursprüngliche Idee (Theater-Metapher) stammt aus der indischen Mythologie. Und wenn wir heute von Narrativen sprechen, erweist sich darin die Erkenntnis, dass wir alle immer schon im Sozialen, und zwar in Rollen, unterwegs sind. Dies systematisch zu reflektieren und für die Exploration neuer Lösungen zu nutzen, kann nicht falsch sein. Es sei denn, man macht es unseriös oder sogar demagogisch – wie das vielfach Hellinger vorgeworfen wurde. Das Psychodrama nach Moreno ist hingegen eine emanzipatorische Methode – wenn sie denn von professionellen Anwendern praktiziert wird. Der Fokus auf „Sozio“ hilft, der Versuchung der Psychologisierung vorzubeugen.
Die Rolle als Schnittmenge
„Das Soziodrama [ist] die Methode für das Unüberschaubare. Es kann (soziale) Komplexitäten darstellbar und vorstellbar machen und öffnet die Möglichkeiten für die Erforschung innerer und äußerer Wirklichkeiten sowie deren Verschränkungen.“ Die Autoren fokussieren auf die Rolle als Schnittmenge zwischen Individuum und Organisation und machen damit Differenzen in der Wahrnehmung, im Fühlen und Handeln besprechbar: Als Social Forecasting, Stakeholder-Management, Kultur-Simulation oder Krisenmanagement. Dabei leiten sieben Prinzipien:
- Spiele werden geleitet
- Spiele haben Ziele
- Das Medium ist der Ausdruck
- Alles wird inszeniert
- Soziodramen sind Simulationen
- Spiele werden reflektiert
- Plausibel spielen
Das Vorgehen ist ganzheitlich, auch die Leiblichkeit gerät so in den Blick, ein Aspekt, der seit Längerem als Embodiment bezeichnet und nicht nur im Zürcher Ressourcen Management (ZRM®) eine zentrale Rolle spielt. Hier können und sollten von beiden Seiten Brücken geschlagen werden.
Der Beitrag bringt die Methode wieder in die allgemeine Diskussion. Und das ist gut so. Es bleibt zu wünschen, dass die Anwender (Berater wie Organisationsentwickler) aus den Verirrungen der Vergangenheit gelernt haben und Professionalität hochhalten.