23. August 2025

Management auf den Punkt gebracht!

Digitale Tagelöhner

Gig-Work – eine Verzweiflungstat?

INSPIRATION: Künstliche Intelligenz ist nicht künstlich, sie wird von Menschen trainiert. Und diese arbeiten oft weltweit als digitale Tagelöhner zu schlechten Konditionen. Erhellendes über eine „Schattenwirtschaft“.

Gerade erst haben wir den Vorschlag vernommen, uns die Gig-Economy als Vorbild zu nehmen und Führung gänzlich an KI zu delegieren (Nix Pathie). Selbstverständlich fand ich das nicht akzeptabel. Mehr noch: Ich finde den Vorschlag grob fahrlässig. Nun erklärt uns ein Autorenduo (Die KI-Revolution frisst ihre Gig-Worker), wie die Gig-Economy funktioniert. Die Recherche wurde durch ein Stipendium der Nichtregierungsorganisation AlgorithmWatch ermöglicht.

Berichtet wird unter anderem über die Praktiken von Outlier. Das ist eine US-amerikanische Firma und einer der ganz großen Player am KI-Markt. Auch wenn in den Medien zumeist andere Namen in den Headlines stehen, wenn es um KI geht: Outlier steht in der zweiten Reihe. Es ist ein Zulieferer, ein Subunternehmen der großen Techfirmen. Diese lagern das Training ihrer künstlichen Intelligenz an solche Firmen aus (Irgendwas mit Partnern). Hinter Outliers Dachgesellschaft Scale AI steht Peter Thiel als Hauptfinanzier. Sein Name dürfte eher bekannt sein. Er war einmal CEO von PayPal und auch Investor bei Facebook.

Das Training der KI

Die GPTs müssen, wie der Name (pretrained) schon sagt, trainiert werden (Coaching ohne Coaches). Und das machen Menschen. Hans Rusinek hat recht: KI ist nicht künstlich, sie ist menschengemacht (Fosbury-Flop mit der KI). Es müssen also beispielsweise Prompts für die KI-Systeme formuliert und anschließend getestet werden, ob sie zu korrekten und angemessenen Antworten führen. Das kann man aus dem Homeoffice heraus machen. Ergo suchen Firmen wie Outlier weltweit nach Menschen, die das können und machen. Und Menschen, die das können und denen das in den Kram passt, heuern dort an.

So weit, so Business. Das Problem: Die Firmen vergüten miserabel. Die Autoren schildern einen Fall, in dem ein solcher Gig-Worker – also ein „freischaffender Künstler“ oder digitaler Tagelöhner – nur ein paar Cent über dem britischen Mindestlohn verdiente. Outlier bezahlte nicht die Anlernzeit und auch nicht weitere Schulungen, die ein Viertel der Arbeitszeit ausmachten. Wenn der Gig-Worker länger brauchte für den Job als vom Arbeitgeber veranschlagt, also Überstunden machte, verdiente er weniger. Und wenn er sich für ein neues Projekt anlernen ließ, das aber nicht zustande kam, wurde er nicht vergütet. Es gab auch keine Garantie für Jobs. Er war völlig von der Disposition des Unternehmens abhängig. Längere Zeit kam gar nichts rein.

Digitale Tagelöhner

„Die Bezahlung auf ein Minimum zu drücken, ist überall in der sogenannten Gig-Economy üblich, in der Selbstständige und Minijobber über eine Onlineplattform kurzfristig kleine Aufträge erhalten.“ Weltweit soll es Gig-Worker in dreistelliger Millionen-Anzahl geben, sagen die Autoren mit Berufung auf einen Bericht der Weltbank (2023). Das seien zirka 4,4 bis 12,5 Prozent der weltweiten Erwerbstätigen. Das Thema Gig-Economy steht auch auf der Agenda der G20. Und auch die Denkfabrik des deutschen Bundesministeriums für Arbeit (BMAS) beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitsmarkt und Beschäftigung.

Die Autoren (Die KI-Revolution frisst ihre Gig-Worker) haben für ihre Recherche mit mehr als 50 Gig-Workern, die für Outlier und ähnliche Unternehmen auf vier Kontinenten arbeiten, ausführliche Interviews geführt. Neben den geschilderten Prompting-Jobs geht es auch um weitere Aufgaben. Beispielsweise sollen „Aufrufe zu Gewalt oder andere sensible Inhalte, sachliche oder grammatikalische Fehler oder Verstöße gegen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften“ identifiziert werden. Gelesen haben wir auch schon von Influencern, die verzweifelt hinter dem Algorithmus von Youtube her hecheln (Gefangen im Spinnennetz?). Und die Digitalisierung des Coachings ist nun auch nichts Neues mehr.

Outsourcing

Gig-Work scheint ein anderes Wort für Outsourcing zu sein. Manche sprechen von prekärer und ungeregelter Arbeit oder von Lohndiebstahl. Auf der Plattform ist der Status asymmetrisch, die Tagelöhner arbeiten vereinzelt und kennen sich nicht. „Uber-Fahrer*innen oder Essensausliefer*innen treffen sich auf der Straße,“ zitieren die Autorinnen Milagros Miceli, Leiterin einer Forschungsgruppe am Weizenbaum-Institut in Berlin. Doch Gig-Worker nicht. Sie haben keine Netzwerke – geschweige denn eine Gewerkschaft. Gig-Work sei eine Verzweiflungstat, zitieren die Autoren eine Interviewpartnerin aus Spanien, auf die sich alleinerziehende Frauen oder pflegende Angehörige einlassen, weil sie „diese Arbeit besser mit ihren familiären Verpflichtungen vereinbaren können“.

Die Autorinnen zitieren abschließend den Soziologieprofessor Antonio Casilli. Er ist Autor des Buchs Waiting for Robots. The Hired Hands of Automation: „Die Gefahr besteht nicht darin, dass Roboter den Menschen die Arbeit wegnehmen, sondern darin, dass die Menschen für Roboter arbeiten müssen.“

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Thomas Webers

Dipl.-Psych., Dipl.-Theol., Fachpsychologe ABO-Psychologie (DGPs/BDP), Lehrbeauftragter der Hochschule Fresenius (Köln), Business-Coach, Publizist

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