11. Dezember 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Irgendwas mit Partnern

INSPIRATION: „Leben wir nicht alle in Ökosystemen? Alles so schön grün hier! Und so harmonisch. Ein Geben und Nehmen.“ – Sagt der Fuchs zum Hasen … „Wir machen jetzt ein großes Business Ecosystem auf! Machst Du mit?“ „Nee,“ sagt der Hase, „lass‘ mal gut sein. Ich habe da noch einen Deal mit dem Igel offen.“ Und lief von dannen.

Als vor drei Jahren changement einen Schwerpunkt zum Thema Business-Ökosysteme brachte (Neues Buzzword: Business-Ökosysteme), konnte ich mir einige gehässige Kommentare nicht verkneifen. Nun zieht die Organisationsentwicklung nach. Na, dachte ich mir, wollen mir mal schauen, was es da Neues an Erkenntnissen gibt. Und siehe da, nachdem ich den „Werbeblock“ der Beraterzunft durchgeblättert hatte, fand ich auch gleich etwas Gehaltvolles.

Buzzword

Bernhard Lingens (Wenn nicht drin ist, was drauf steht) kritisiert einen Hype um das Buzzword. Und den Grund dafür sieht er in einer schwammigen Definition. „Der Begriff des Ökosystems wurde erstmalig von Moore (1993) ins breitere Licht der Öffentlichkeit gebracht.“ Doch in der Folge haben dann zahlreiche Protagonisten alles Mögliche darunter verstanden. „Praktisch jedes Setting, von klassischen Supply Chains über Netzwerke, Allianzen oder die heutigen digitalen Marktplätze wie Amazon, könnten in diese Definition fallen.“ Was früher Partnervertrieb oder Multi-Channel-Sales hieß, Open Innovation oder Entwicklungspartnerschaft, lässt sich nun mit dem Begriff des Ökosystems adeln. Solches verkauft sich offenbar gut. Wir kennen das vom Begriff Coaching – eine Begriffsinflation ohne gleichen; und viel heiße Luft. Autor Lingens nennt den Begriff Ökosystem daher eine Mogelpackung.

2 Paar Schuhe

Zum Glück haben Forscher, zu denen der Autor gehört, vor einiger Zeit das Konzept „endlich sauber, wenngleich sehr wissenschaftlich-abstrakt, fundiert.“ Demnach gibt es zwei „echte“ Ökosystem-Typen: „Solche mit einer Plattform- und solche mit einer Innovationslogik. Diese Unterschiede würden in der Praxis immer wieder verwischt. Das führe dann oft zu – vermeidbaren – Havarien.

Das Unternehmen Amazon ist ein Prototyp der Plattformlogik. Es verkauft selbst nichts, aber betreibt den Marktplatz. Der Netzwerkeffekt, eine Spirale gegenseitiger, positiver Verstärkung lässt ihn ent- und bestehen: Ein Honigtopf, der – stetig wachsend – sowohl Kunden als auch Verkäufer anzieht. Doch die Machtstruktur ist glasklar: Hier der Master (Marktplatzbetreiber), dort der Slave (Anbieter sowie Endkunden).

Innovationsökosysteme funktionieren anders. Hier geht es um ein Wertversprechen, das ein Unternehmen allein nicht realisieren könnte. Das Ganze soll mehr als die Summe der Teile sein. Es macht also nicht jeder alles, sondern man ergänzt sich. Und man bricht gemeinsam ins Unbekannte auf. Das erfordert Koproduktion (Augenhöhe) und produziert schwer zu kalkulierenden Koordinationsaufwand (Komplexität).

5 typische Fehler im Umgang mit Business-Ökosystemen

  1. Wir bauen ein Ökosystem auf, das im Bereich xy alles aus einer Hand bietet. Man denkt im Stil einer Customer Journey und versammelt alle nötigen Anbieter. Damit wird man vermutlich scheitern, weil es nicht das Wertversprechen der Plattformökonomie gibt: Große Auswahl, schneller Überblick und günstiger Preis. Das Ganze ist bloß die Summe seiner Teile.
  2. Wir denken in Ökosystemen – nicht in Zielen. Doch eine vage Idee reicht nicht. Die Herausforderungen liegen im Detail: IT-Kompatibilität, Vertragswerke, Datenschutz, Urheberrecht, Haftungsfragen. Warum will man sich ein Ökosystem „antun“? Welche Potenziale sollen damit gehoben werden?
  3. Wir bauen ein Ökosystem auf, indem wir nach geeigneten Partnern suchen und mit ihnen gemeinsam ein Wertversprechen definieren. Ohne gemeinsame Vision (Strategie), denkt jeder Player nur aus seiner Perspektive. Verbunden mit der Hoffnung, seinen Teil höher, schneller, weiterzubringen. Jeder will Anführer und Häuptling sein und bleiben. Das Ergebnis: „Das kleinste gemeinsame Vielfache der existierenden Geschäftsmodelle.“ Doch warum sollte der Markt einen Nutzen in der Bündelung einzelner Leistungen sehen, die kein besonderes, gemeinsames Bedürfnis stillen?
  4. Wir überlegen uns, wie wir ‘Partner ins Ökosystem holen’ können. Das Gegenteil der Idee eines Ökosystems ist das Denken in aktuellen Partnern und Strukturen. Damit werden aktuelle Limitationen zementiert. „Der Charme des Ökosystem-Konzeptes ist es, aus den Limitationen der bestehenden Ressourcen, Fähigkeiten und Strukturen auszubrechen und rund um ein neues Wertversprechen eine neue Struktur aufzubauen.“
  5. Wir ignorieren kulturelle Barrieren und wollen bestimmte Rollen der Rolle wegen ausfüllen. Der Aufbau eines Ökosystems ist ein Change-Prozess, der Veränderungsbereitschaft voraussetzt. Das muss man sehen und wollen. Es profitieren nur alle Partner in einem Ökosystem, wenn jeder bereit ist, seine Rolle optimal zu spielen.

Und die Moral von der G’schicht‘?

Welche Schlüsse zieht der Autor nun? Zunächst rät er davon ab, blauäugig einem Hype hinterherzulaufen. Dann rät er zum „exzentrischen“ Blick über den eigenen Tellerrand: „Der Start ist immer das bisher unerfüllte Kundenbedürfnis. Dieses in der Tiefe zu verstehen ist die Grundlage einer jeden Ökosystem-Initiative.“ Das mag man teilen. Wobei ich hier einige Redundanzen sehe und mir sein Kulturargument etwas schwach erscheint.

Die beiden Ökosystem-Typen zu unterscheiden, ist sinnvoll – geht aber nicht tief genug. Die Plattformlogik eignet sich hervorragend, um Produkte zu vertreiben. Die Innovationslogik beschreibt hingegen die Dienstleistungserbringung. Und das ist eine andere Welt als der Verkauf von Produkten. Die Dienstleistung hat immer eine inhaltlich-sachliche sowie eine soziale Dimension. Sie erfordert Koproduktion im Hier-und-Jetzt, und nicht bloß Konsumption (Auf Messers Schneide). Das Ökosystem der Plattformlogik ist das digitale Kaufhaus. Das der Innovationslogik ist der Workshop, der Hackathon, das Labor, das Mitmachtheater.

Ein grün getarntes Maschinenmodell

Wird die Produktlogik der Dienstleistungserbringung übergestülpt, entstehen Paradoxien, Missverständnisse und Enttäuschungen. Die vom Autor Lingens präsentierten Fehler lassen sich damit recht gut erklären. Anwenden lässt sich das Konzept auch auf den Einbruch der Plattformökonomie ins Coaching. Die sogenannten Digital Coaching Provider (DCPs) neigen dazu, aus der Dienstleistung Coaching ein Produkt zu machen. Damit wird tendenziell der Klient zum Konsumenten und das Coaching zur Massenware degradiert. Womit sich die Frage stellt, ob sich Coach wie Klient mit der „Sklavenrolle“ der Plattformlogik zufrieden geben möchten. Oder ob man nicht lieber in die Masterrolle kommen möchte. Das hat selbstverständlich seinen Preis. Ist aber möglicherweise auch zufriedenstellender.

Wenn jeder der potenziellen Partner weiterhin Anführer bleiben will, entsteht keine Emergenz. – Sagt der Hase … (s.o.). Und daran erkennt man, dass es sich beim Modell des Business-Ökosystems bloß um ein grün getarntes Maschinenmodell handelt. Der Versuch, Systemkompetenz zu erlangen, ohne systemisch (systemtheoretisch fundiert) zu denken. Und man fragt sich, wo denn der systemische Impetus der Zeitschrift Organisationsentwicklung geblieben ist. Darin waren die doch mal stark. Aber offensichtlich haben dort die BWLer wieder das Ruder übernommen.

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