21. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Psychologische Großmächte

INSPIRATION: Kränkungen, so ein Experte, werden in Gesellschaft und Wissenschaft maßlos unterschätzt. In einem Interview in der Zeitschrift Führung + Organisation äußert sich der Psychiater Reinhard Haller über die destruktive Kraft von Kränkungen und bezeichnet sie als „psychologische Großmächte“, die objektiv betrachtet lediglich Kleinigkeiten sind, für den Betroffenen aber „Erschütterungen des Selbst und seiner Werte“ (Die häufigste Kränkung ist wohl die fehlende Wertschätzung).

Eine richtige Definition des Phänomens gibt es nicht, aber vermutlich weiß jeder, was damit gemeint ist. Und vermutlich sind sie die Ursache vieler menschlicher Katastrophen, seien es zerstörte Beziehungen, Amokläufe oder Terroranschläge. Selbst internationale Konflikte lassen sich auf Kränkungen zurückführen – zumindest wird damit häufig argumentiert. Da kann man nachvollziehen, wenn der Fachmann sie als maßlos unterschätzt bezeichnet.


Anzeige:

Bleiben Sie souverän und gelassen bei Konflikten in Teams und Organisationen!
In unserer Ausbildung Wirtschaftsmediation lernen Sie, wie Sie Konflikte konstruktiv klären. Fordern Sie jetzt unverbindlich das Infomaterial zur Weiterbildung an.
Ja, schickt mir mehr Infos!


Alltägliche Erfahrung

Die Kränkung kommt also eher unscheinbar daher, und ihr Gegenstück ist die Wertschätzung. Wem diese versagt wird, empfindet das als Kränkung. Können wir vermutlich alle nachvollziehen. Ich wähle mal ein sehr einfaches Beispiel: Ein Mitarbeitender hat eine Aufgabe übernommen und bearbeitet, er informiert hierüber den Kollegen oder die Führungskraft und erhält keinerlei Rückmeldung. Als er nachfragt, bekommt er zur Antwort, dass sich die Sache inzwischen erledigt habe, mit dem Nebensatz, dass ihm das offenbar niemand mitgeteilt habe.

Es geht auch noch viel subtiler: Der Kollege unterhält sich mit seinem Chef, als der nächsthöhere Vorgesetzte hinzukommt, dem Chef die Hand drückt, einen kurzen Plausch hält und dann weitergeht und den Mitarbeitenden völlig übersieht. Alles schon selbst beobachtet. Solche Kränkungen „entfalten ihre Wirkung durch ihre alltägliche Permanenz“ und können physische und psychische Krankheiten auslösen.

In vielen Fällen dürfte der Kränkende sich der Wirkung seines Verhaltens gar nicht bewusst sein – damit lässt sie sich eventuell auch von der Beleidigung oder der Demütigung abgrenzen. Beide werden wohl gezielter und bewusster eingesetzt, sind demnach auch einfacher zu erkennen und entsprechend zu „sanktionieren“. Der Mediziner erwähnt noch eine weitere Spielart, das „toxische Schweigen“. Kennen wir auch alle, oder? Sei es als Reaktion auf eine Kränkung, aber auch als bewusste Missachtung. Wenn man so verletzt ist, dass man den anderen lange Zeit anschweigt – schwer auszuhalten. Und schließlich die bekannteste Form in der Arbeitswelt, das Mobbing, „welches nichts anderes als systematisches Kränken ist“.

Kränkungsbewusstsein

Und die „Behandlungsmethode“?

Es gilt, ein Kränkungsbewusstsein zu schaffen. Ob man dafür keine Ausbildung und kein Coaching benötigt, stelle ich mal in Frage. Wenn wir andere Menschen kränken, indem wir ihnen die Wertschätzung, ja sogar die Wahrnehmung verweigern und es nicht einmal merken, reicht es meines Erachtens nicht aus, ein Kränkungsbewusstsein zu fordern. Aber es gibt auch ganz praktische Tipps. Man könnte den anderen zum Beispiel fragen: „Habe ich Sie gekränkt?“ Damit man überhaupt auf so eine Idee kommt, braucht es eben dieses Bewusstsein für die zerstörerische Wirkung.

Vielleicht kann man damit im Privaten mal üben, z.B. beim Partner. Wenn dieser plötzlich schweigt, irgendwie grantig herumläuft, diese einfache Frage stellen. Er könnte die Wertschätzung etwa vermissen, weil er die Fenster geputzt hat und Sie bemerken es nicht. Albern? Wie gesagt, Kränkungen sind objektiv Kleinigkeiten, aber sie sind hochgiftig. Und es gibt noch eine weitere Besonderheit: Wir geben ungern zu, dass wir gekränkt sind, sie vertragen „sich nicht mit dem Bild des modernen Erfolgsmenschen.“ Man stelle sich vor, eine Mitarbeiterin fragt ihren Chef, der offenbar angefressen ist, ob sie ihn gekränkt hat – wer antwortet da schon ehrlich: „Sie haben kein bisschen erfreut reagiert, als ich mich für die schnelle Bearbeitung der letzten Bestellung bedankt habe.“ Sich einzugestehen, dass eine solche Kleinigkeit uns kränken kann oder mehr noch: Dass wir diese scheinbar belanglose Wertschätzung brauchen, erscheint uns als Schwäche.

Letzteres mag auch der Grund sein, warum es keine Fortbildungen für den Umgang mit Kränkungen gibt, vermutlich würden sie keine Teilnehmer finden. Womit sie weiter ihre zerstörerische Wirkung entfalten können.

Teile diesen Beitrag:

Ein Gedanke zu “Psychologische Großmächte

  1. Eine gute Idee, die Frage. Aber wie Sie anmerken, ist es nicht einfach. Die Frage könnte zu einer weiteren Kränkung führen. Am besten ist es, (manchmal um lieben Friedens Willen) zu sagen: „Entschuldigung, ich nehme es zurück, das stimmt so nicht“ und es vielleicht anders zu formulieren. Oder es zu lassen. Oft muss man sich selbst fragen, womit man diesen Menschen gekränkt haben könnte. Bei der Entschuldigung ist dann das Wort „gekränkt“ zu vermeiden. Danke für diesen Artikel!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert