KRITIK: Das tut weh: Wenn man als Arbeitgeber in einschlägigen Bewertungsportalen eine schlechte Durchschnittsnote und kritische Kommentare erhält. Das wird seinen Grund haben. Aber wie wird man die schlechten Noten wieder los? Da gibt es so einige Möglichkeiten, und die meisten sind dubios (Die Fünf-Sterne-Illusion). Man kann zum Beispiel die unliebsamen Bewertungen per Anwaltsschreiben beanstanden und entfernen lassen. Und schwups, ist man plötzlich „Top-Arbeitgeber“. Dazu reichen schon sechs Bewertungen und ein Schnitt von besser als 3.
Dieser liegt deshalb nicht höher, weil der Portalbetreiber, hier Marktführer Kununu, sich für solche Siegel bezahlen lässt. Da löscht man doch gerne mal die schlechten Bewertungen, zumal sie sich kaum validieren lassen. Es gibt offenbar die Möglichkeit, solche Löschungen wieder rückgängig zu machen. Dazu muass man aber das, was man zu kritisieren hat, „beweisen“. Welcher Mitarbeiter, der sich zwar sehr über seinen Arbeitgeber ärgert, nimmt die Mühe auf sich, einer Löschung seiner Bewertung zu widersprechen?
Andere Unternehmen animieren ihre Mitarbeiter, ihnen Top-Bewertungen zu schreiben, dafür werden gerne auch Praktikanten herangezogen. Offenbar weiß man das von SpaceX, Slack und LinkedIn.
Praktikanten bedrängen
Auch interessant: Es gibt Beratungsunternehmen, die alljährlich Praktikanten befragen, wie zufrieden sie mit ihrem Arbeitgeber sind. Deren Antworten tauchen dann plötzlich gehäuft auf den Bewertungsportalen auf und treiben den Schnitt nach oben. Solche Beurteilungen, die aus anderen Befragungen stammen, erkennt man in der Regel daran, dass sie kurz gefasst sind, meist nicht mehr als ein oder zwei Sätze enthalten. Die Unternehmen wundern sich angeblich, wie die Ergebnisse auf die Plattform gelangen. Der neutrale Leser fragt sich, ob die Praktikanten überhaupt zugestimmt haben, dass ihre Bewertungen hierfür genutzt werden. Steht vermutlich im Kleingedruckten.
Noch seltsamer mutet es an, dass es wiederum Anbieter gibt, die versprechen, gegen einen bestimmten Betrag Bewertungen verschwinden zu lassen. Wie geht das denn? Andere machen es umgekehrt: Sie engagieren Menschen, die „realistische Prosa“ verfassen und für Geld den Auftraggeber gut aussehen lassen.
Ich habe zunehmend Schwierigkeiten mit all diesen Bewertungsportalen. Offenbar kann man es als Unternehmen gar nicht verhindern, bewertet zu werden, das fällt wohl unter die Meinungsfreiheit. Was natürlich schon immer so war: Jeder Mitarbeiter hat zuhause oder am Stammtisch, bei Sportfreunden und Familie über seinen Arbeitgeber gesprochen, sich Luft verschafft und oft genug kräftig geflucht. Das wiederum hat der Arbeitgeber selten erfahren. Dafür war diese Form der Unternehmensbewertung nicht anonym, wenn auch nur einem kleinen Kreis zugänglich.
Wenn es die ganze Welt erfährt
Heute erfährt die ganze Welt, wie furchtbar oder toll es bei einem Unternehmen zugeht. Dafür aber muss niemand mehr Farbe bekennen, alles bleibt anonym. Nun kann man sich wie bei allen „Neuerungen“ fragen, ob die Vorteile die Nachteile überwiegen. Erhält ein Unternehmen viele negative Bewertungen (wie das auch bei Hotels und Ärzten, bei Herstellern und Verkäufern passiert), dann kann jemand, der sich bewirbt, davon ausgehen, dass irgendetwas nicht stimmt. Das ist schon nützlich und schützt einen potenziellen Bewerber (oder Patient, Käufer, Gast …) vor Schaden.
Außerdem kann der Bewertete sich die Urteile zu Herzen nehmen und etwas verändern. Die Art und Weise, wie der Betroffene reagiert, lassen ja auch interessante Rückschlüsse zu. Soweit die erhoffte Wirkung. Und die Nebenwirkungen? Das kann man schön an der Bewertung von Büchern erkennen: Der eine ist begeistert, der andere furchtbar enttäuscht. Der dritte tut dem Autor einen Gefallen, der vierte dem Verlag. Und – wie oben beschrieben – etliche Bewertungen werden gekauft.
Wenn ich eine Buchbesprechung lese, dann kann ich damit nur etwas anfangen, wenn jemand sein Urteil begründet. Bei der Bewertung von Unternehmen wird die Sache ja noch viel schwieriger: Ein Unternehmen besteht aus vielen Bereichen und Abteilungen, aus unzähligen Führungskräften und Kollegen – wie will man diese Vielfalt mit ein paar Sternen erfassen? Dazu kommt, dass die Anbieter dieser Bewertungsportale ja ein großes Interesse daran haben, dass die Bewertungen positiv ausfallen – sie wollen etwas verkaufen – Bücher oder eben Zertifikate wie „Top-Arbeitgeber“.
Die Alternative?
Man müsste die Anonymität aufheben, aber dann wird sich kaum noch jemand trauen, eine Bewertung abzugeben. Man könnte die Sterne weglassen und nur noch Beschreibungen zulassen, was ich sehr begrüßen würde. Aber dann hätte der Anbieter keine Einnahmequelle mehr, indem er Zertifikate ausstellt. Man könnte sich Modelle ausdenken, bei denen ein Bewerter verpflichtet ist, regelmäßig seine Einschätzung abzugeben, um auch Entwicklungen zu erfassen. Aber das ist vermutlich schwer durchsetzbar. Und sicher ebenso manipulierbar …
Aber wenn die Möglichkeit der Manipulation wie oben beschrieben von immer mehr Arbeitgebern genutzt wird, dann erübrigt sich diese Diskussion vielleicht ohnehin bald.