KRITIK: Erinnern Sie sich noch an das Thema „Wissensmanagement“? Da war ein immer wieder genanntes Problem, dass Menschen mit viel Wissen und noch mehr Erfahrung eines Tages das Unternehmen verlassen und mit ihnen all ihre Erfahrungen und ihr Wissen. Damals schon gab es Versuche, das Wissen von Mitarbeitenden in Datenbanken ablegen zu lassen mit der Idee, dass dieses anschließend jederzeit abrufbar sein sollte.
Auch da war schon bekannt, dass selbst wenn das geklappt hätte, man nur einen Bruchteil des relevanten Wissens gespeichert hätte. Denn viel mehr steckt in den Köpfen, ist vielleicht den Menschen selbst gar nicht bewusst. Und wird immer erst herausgeholt, wenn es benötigt wird. Oder höchstens mal so zwischendurch in der Kaffeeküche ausgetauscht nach dem Motto: „Hörmal, du hast doch damals … Wie war das noch?“
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Es gab auch Versuche, dieses implizite Wissen durch strukturierte Interviews mit den ausscheidenden Mitarbeitenden zu erfassen und ihren Nachfolgern zur Verfügung zu stellen. Indem man die Ergebnisse in Mindmaps abbildet oder in einer Wissenslandkarte dokumentierte. All das scheint nicht so richtig gefruchtet zu haben. Aus unterschiedlichen Gründen – vermutlich vor allem, weil es niemand schafft, solche Abläufe konsequent zu verfolgen und für ihre Durchführung zu sorgen. Wie auch die Autorin in der Personalführung zugibt (Dialogbasiert, digital und assistiert von KI): Die Methode ist „nicht skalierbar und somit kostenintensiv“. Außerdem dürfte es sich herumgesprochen haben, dass man Menschen weder zwingen noch verführen kann, ihr Wissen in irgendwelchen „Containern“ abzulegen.
Ein KI-Assistent als Interviewpartner
Aber die Wissensmanager geben nicht auf. Jetzt eilt ihnen die KI zu Hilfe. Wie das? Na ja, man setzt weiterhin auf die Methode des „analogen Wissenstransfers“. Soll heißen: Auch hier ist die Basis ein Interview mit Mitarbeitenden. Die Fragen werden zuvor mit dem Auftraggeber unternehmensspezifisch formuliert und dem Interviewten digital vorgelegt.
Was soll daran neu sein? Zum einen, dass die Antworten per Spracheingabe erfolgen. Na ja, vorher wurden sie auch mündlich formuliert. Zum anderen stellt eine KI Nachfragen, so dass der Interviewte seine Antworten präzisieren kann. Haben früher die Interviewer gemacht. Hinzu kommt, dass der Interviewte noch Kollegen ansprechen kann, diese können dann inhaltlich ergänzen. KI fasst die Antworten dann zusammen. Klingt sinnvoll.
Statt mit realen Menschen kommuniziert der Mitarbeitende nun also mit einer KI. Die dann auch von denjenigen genutzt werden kann, die das Wissen verwenden wollen. Sie stellen ihre Fragen, die KI antwortet in Echtzeit und verwendet dabei nicht nur das Wissen, das in diesen Interviews erfasst wurde, sondern schaut auch in bereits dokumentiertem Wissen nach. Und wenn sie keine Antworten hat, kann die Frage an einen Experten weitergeleitet werden, der dann die Lücke füllt. Alternativ kann über das Tool auch ein Termin mit dem Experten vereinbart werden.
Austausch an der Kaffeemaschine?
Das ist also die großartige Neuerung, die dem Wissensmanagement den Durchbruch verschaffen soll? Ich bin skeptisch. Auch hier müssen Menschen angehalten werden, Fragen zu beantworten. Selbst wenn alle ausscheidenden Mitarbeitenden dies gewissenhaft tun: Sie werden kaum in diesem Moment all ihre Erfahrungen abrufen, die sich in konkreten Situationen ergeben. Egal wie viele Fragen man ihnen stellt – es ist nicht möglich, alle Herausforderungen, die jemand in seinem Job bewältigt hat, zu erfassen. Dieses Wissen wird, wie oben erklärt, spontan, dann, wenn es benötigt wird, mal zwischen Tür und Angel weitergegeben, an der berühmten Kaffeemaschine. Wissen ist nun mal kontextspezifisch und wird auch kontextspezifisch im Gedächtnis repräsentiert. Mit einer solchen Interviewpraxis wird unterstellt, dass man Wissen generell verfügbar hat. Ein Irrtum. – KI-Tüftler: träumt weiter.
Wer möchte, dass es von einem erfahrenen Mitarbeitenden an seine Nachfolger weitergegeben wird, der müsste es schaffen, dass beide sich weiterhin begegnen. Nicht als digitale Zwillinge auf einer Plattform, sondern eben an der Kaffeemaschine. In dem Moment, in dem jemand sich gerade mit einem Problem beschäftigt und zufällig dem alten Hasen über den Weg läuft. Ihn dann fragen kann: „Sag mal, wie hast du eigentlich …?“ Wäre doch mal spannend, sich hierfür Lösungen auszudenken.
Übrigens: In dem Beitrag wird ein Praxisbeispiel aufgeführt, in dem das beschriebene System zu Anwendung kommt, ein zweites, in dem es eingesetzt werden soll. Zitat: „In ein paar Monaten wird unser KI-Assistent ein dialogbasiertes Interview führen können …“ Wäre vielleicht besser gewesen, erst einmal fundierte Erfahrungen zu sammeln, ehe man ein neues Zeitalter des Wissensmanagements ausruft.

Ach, ein herrlicher Beitrag 😉
Das altbekannte Thema mit der Wissensaufbereitung und wie sie sich operational von ausscheidenden Mitarbeitern behalten lässt.
Aus meiner Sicht ist es nicht die Frage nach dem richtigen Tool am richtigen Ort, also „digital per AI“ oder „analog an der Kaffeemaschine“.
Für mich ist es eine Frage der Wertschätzung zum richtigen und organisierten Zeitpunkt. Lassen sich „best practices“ gleich im Rahmen eines rollierend terminierten Mitarbeitergesprächs festhalten und anschließend der Organisation nutzbar machen? Wie wertschätzend kann es wohl sein, wenn ein Mitarbeiter (m/w/d) im Rahmen eines persönliches Gesprächs mit (bspw.) der Führungskraft seine Erfolge darstellen und die Hebel dazu benennen kann.
Beidseitiger Vorteil: beide können sich den Kaffee dabei schmecken lassen 🙂
Ach ja: das klappt sogar im echten Leben, ich hab’s ausprobiert.
Stephan Fuchs