INSPIRATION: Ein Versprechen von Agilität lautet: steigende Innovation. Wird es auch eingelöst? Das zu klären, ist Aufgabe der Wissenschaft. Und sie kann das Versprechen bestätigen. Wobei da auch noch ein paar Fragen offenbleiben.
„Agile Teams managen ihre eigenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten (Autonomie), interagieren auf Augenhöhe statt hierarchisch (Gleichheit) und verfolgen einen iterativen, kundenorientierten Projektansatz (iterative Lieferung),“ so das Autorenduo (How Agile Working Increases Innovative Work Behavior). Das prädestiniert agile Teams prinzipiell für innovatives Verhalten.
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Doch sollte man solche „agilen Teams“ nicht vorschnell über einen Kamm scheren. Papier ist geduldig, in der Praxis wird so manches Team agil aufgehübscht. Ist aber nicht agil. Oder es werden den Teams diverse Knüppel zwischen die Beine geworfen: Führung lässt das Team nicht machen, die interne Gruppendynamik produziert informelle Hierarchien oder die Kooperation mit dem Kunden hakt. Daher braucht es Empowerment: Kompetenz, Sinnhaftigkeit, Selbstbestimmung und Einfluss. Zu diesem Thema hat Autor Schermuly schon viel geschrieben (Mit Empowerment zu New Work) – und geforscht. Und daher wissen wir inzwischen auch: Empowerment wirkt indirekt.
Zwei Studien
Nun arbeiten viele agile Teams medienvermittelt zusammen, also online über Plattformen. Daher muss man auch dahin schauen und die Frage aufwerfen, ob die Art und Weise der medienvermittelten Kooperation eine Rolle spielt. Zu diesem Zweck nutzen die Forscher*innen die Media Richness Theory. Diese 1980er-Jahre-Theorie ist in Coronazeiten wieder richtig populär geworden. Sie postuliert, dass reichhaltige Medien für die Kommunikation besser sind als „magere/schlanke“: Je mehr Sinneskanäle verfügbar, desto besser. Dieses Gefälle in der Kommunikation (Kanalreduktion) wurde in Coronazeiten beklagt: „Man sieht und hört die Leute zwar, aber das ist doch keine ‚richtige‘ Begegnung,“ hieß es oft. Deshalb versuchte man, so schnell wie möglich wieder in den Präsenzmodus zu kommen.
Die Forscher haben zwei Studien durchgeführt: Zunächst (Studie 1) manipulierten sie in einem Experiment mit 68 virtuellen Teams (Studierende) die Arbeitsbedingungen, agil oder nicht-agil, sowie die Kommunikationsbedingungen (Videoanruf oder Live-Chat). Im Anschluss wurde ein zweistufiges Umfragedesign mit 233 Projektteammitgliedern aus der Praxis aufgesetzt (Studie 2).
Die Ergebnisse
Die Ergebnisse beider Studien zeigen, dass agiles Arbeiten über psychologisches Empowerment einen indirekten Einfluss auf innovatives Arbeitsverhalten und auf Ergebnisse hat. Das sind zwei wichtige Erkenntnisse: Agiles Arbeiten fördert also Innovationsverhalten. Es braucht dafür aber Empowerment. Gibt es das nicht oder wird das bloß halbherzig umgesetzt, und Belege dafür liefert leider das New-Work-Barometer 2023 (Wasch‘ mir den Pelz, aber …), hat das auch wenig Innovation zur Folge. Diese Verkürzung von New Work ist nicht nur ein Missverständnis, sondern auch ein dummer wirtschaftlicher Fehler. Es wird am falschen Ende gespart.
Für die moderierende Rolle der Medienreichhaltigkeit fanden die Forscher:innen jedoch widersprüchliche Ergebnisse. Reichhaltige Medien steigerten zwar in Studie 2 die Vorteile des agilen Arbeitens. Das Gegenteil wurde aber im Experiment (Studie 1) beobachtet. Die Forscher diskutieren verschiedene Hypothesen für diesen Befund. Um dann zum Schluss einzugestehen, dass ein Vergleich beider Studien aufgrund unterschiedlicher Messgrößen für die Media Richness schwierig sei. Tja …
Medienpsychologie
Ich habe gleich gestutzt, als ich Media Richness Theory las. Diese 1980er-Jahre-Theorie hat sich in der Forschung nicht bewährt. Sie gilt als veraltet. Die seit der Jahrtausendwende vorliegende Media Synchronicity Theory ist viel besser geeignet, medienvermittelte Kommunikation zu erklären. Sie schielt nicht auf Sinneskanäle, sondern unterscheidet Merkmale von Medien: Unmittelbarkeit des Feedbacks, Symbolvarietät, Parallelität, Überarbeitbarkeit und Wiederverwendbarkeit werden als relevant betrachtet. Beispielsweise kann man ein beschriftetes Flipchart schwer überarbeiten, einen Whiteboard-Anschrieb hingegen schon. Ein digitaler Text lässt sich wiederverwenden, das gesprochene Wort nicht.
Hinzu kommt, dass Synchronizität, also das Ausmaß, in dem Individuen zur gleichen Zeit an der gleichen Aufgabe arbeiten, bei Medien unterschiedlich ausgeprägt ist (Videogespräch vs. E-Mail). Und zum Dritten muss man von zwei sehr verschiedenen Teilprozessen der Informationsverarbeitung ausgehen: Bei der Informationsübermittlung werden zuvor gesammelte Fakten aus diversen Quellen übermittelt. Bei der Informationsverdichtung geht es darum, die Infos zu einem Bild zusammenzuführen. Die Media Synchronicity Theory behauptet nun: Für die Informationsverdichtung sind Medien mit hoher Synchronizität adäquater.
Innovationsmanagement
Das wirft ein anderes, differenzierteres Licht auf das Online-Kommunikationsgeschehen. Würden Teams diese Erkenntnisse berücksichtigen und jeweils mit Bedacht überlegen, welches Medium für welche Aufgabe am besten geeignet ist, wäre die Leistung besser. Und diese Erkenntnis harmoniert auch sehr gut mit den Erfahrungen aus dem Innovationsmanagement. Nicht ohne Grund trennt man dort Ideengenerierung (am besten in Einzelarbeit) und Ideendiskussion (am besten im Team).
Ist schon wichtig, die Erkenntnisse, die wir inzwischen über Online-Arbeiten haben (Wessen einziges Instrument ein Hammer ist), zu beherzigen. In der Praxis mögen diese vielleicht noch nicht in der Breite angekommen sein. Das wäre bedauerlich und sollte die Forschung motivieren, noch mehr in die Öffentlichkeit zu gehen. Aber in der Forschergilde sollte man doch den State of the Art berücksichtigen. Es hilft nichts: Da wird die Forscherin wohl einen neuen Anlauf unternehmen müssen. Ich bin gespannt, was dann dabei herauskommen wird.