KRITIK: Moderne Technologie macht es möglich, mal so eben Meinungen, Einstellungen oder Stimmungen zu erfassen, so etwas nennt man Puls-Befragungen. Damit kann man Mitarbeiter „zumüllen“, sagt der eine Experte. Die Gegenstimme: „Heute fragen, morgen umsetzen – das kann eine klassische Mitarbeiterbefragung nicht.“ Was nun?
Das „Pro und Kontra“ findet sich im Personalmagazin, in dem zwei Dienstleister Stellung beziehen (Pro und Contra Mitarbeiterbefragungen). Die Argumente hören sich so an: Alle ein bis zwei Jahre mit vielen Fragen aufwendig die Meinung der Mitarbeiter einzuholen, lange Auswertungen zu fahren und dann in umständlichen Prozessen doch kaum etwas umzusetzen, schadet der Beziehung zum Mitarbeiter nur. Das sei so, als würden Sie Ihren Partner einmal im Jahr fragen, wie es ihm geht und sich dann überlegen, was Sie im folgenden Jahr anders machen wollen.
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Stattdessen fragen Sie lieber einmal pro Woche mit einem Fragebogen, dessen Beantwortung nur 60 Sekunden dauert, dann wissen Sie sofort Bescheid, wie es um die Umsetzung der neu eingeführten Werte steht, ob das neue Arbeitszeitmodell ankommt. Damit können Sie auch im Nu in einer Krise „die Unsicherheit der Belegschaft innerhalb weniger Wochen in Jobsicherheit wandeln.“ Und das alles per App.
Ein wahres Wundermittel?
Die Gegenstimme: Wer Mitarbeiter mit solchen Befragungen zumüllt, betreibt „brachiales Fracking“ und muss sich nicht wundern, wenn sie schnell die Nase voll haben. Analog zur Metapher von oben: Wenn Sie Ihren Partner jeden Tag fragen, ob er mit Ihnen glücklich ist, dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn er nach dem dritten Mal entnervt antwortet: „Hör auf zu fragen, behandel mich endlich besser, dann musst du nicht ständig nachfragen.“
Zwar sei die Online-Variante der klassischen Mitarbeiterbefragung in Sachen rascher Durchführung und Auswertung natürlich überlegen und zu bevorzugen, aber sie muss wohl durchdacht und geplant, wissenschaftlich fundiert und „evidenzbasiert“ sein. Natürlich muss man anschließend auch etwas ändern. Wenn das nicht geschieht, sei das genauso schädlich für die Motivation wie die wöchentlichen und entnervenden kurzen und rasch zusammengeschusterten Puls-Umfragen.
Eine ziemliche müßige Auseinandersetzung. Natürlich sollte man sich regelmäßig mit seinem Partner anlassbezogen unterhalten und fragen, wie es ihm geht. Wenn er Kummer im Job hat, krank ist, etwas Unerwartetes passiert, ihm zuhören und natürlich auch fragen, ob man etwas für ihn tun kann. Wie wir alle wissen, ist das ehrliche Interesse an meinem Befinden oft schon völlig ausreichend, um mich besser zu fühlen. Aber wie, bitteschön, soll eine kurze Befragung per App die Unsicherheit in einer Krise für Sicherheit sorgen?
Wunder dauern etwas länger …
Umgekehrt wäre es sicher gut, wenn sich Menschen auch in einer Partnerschaft hin und wieder mal eine Auszeit gönnen und darüber reden, wie sie sich in der Beziehung fühlen und schauen, wo es knirscht und hakt. Auch hier hilft es oft, all das einmal nur anzusprechen und zu merken, dass der andere sich hineinversetzen kann und seinen eigenen Anteil an der Situation versteht.
All das kann weder die eine noch die andere Art der Mitarbeiterbefragung leisten. Und wissenschaftlich fundierte Umfragen halte ich ohnehin für eine Illusion. Wenn man die moderne Technik nutzen möchte, dann könnte ich mir durchaus vorstellen, sie in großen Meetings einzusetzen, in denen man die Ergebnisse sofort aufgreifen und weiter mit ihnen arbeiten kann. Ein wenig so, wie man in klassischen Moderationen Lösungsalternativen mit Punkten bewerten lässt. Oder per Skalenfrage spontane Einschätzungen einholt und diese dann für das weitere Vorgehen nutzt.
Ansonsten bleibt, wie in der Partnerschaft, weiterhin das direkte Gespräch, egal, wie groß eine Organisation ist. Und die Spielerei mit den Umfragen kann man endlich zu den Akten legen.