INSPIRATION: Lange Zeit ist es her, dass die Weiterbildungsbranche anfing, von personalisiertem Lernen zu träumen. Wer erinnert sich noch an Web-Based-Training (WBT) oder Computer-Based-Training (CBT)? Der Lernende sitzt vor einem Rechner und lernt fröhlich vor sich hin. Später hieß es dann Blended Learning – da hatte man entdeckt, dass Präsenzphasen zwischendurch gar nicht so verkehrt sind. Aber Lernformate, die ganz auf das Individuum zugeschnitten werden? So richtig klappt das bisher nicht.
Jetzt soll KI der Branche helfen, dass Lernen wirklich personalisiert wird (Künstlich klüger). Und irgendwie klingt das sogar plausibel. Man stelle sich nur mal vor, ich möchte Gitarre spielen lernen. Dann zeigt mir die KI erst mal, wie man das Instrument hält, erklärt mir die Saiten und wie ich die Finger der beiden Hände einsetze.
Danach könnte es schon losgehen mit der Personalisierung. Die KI fragt mich, was ich denn gerne spielen möchte. Was auch immer ich nenne, sie schlägt mir erst Schritte vor, hört brav zu, korrigiert mich, merkt, ob ich schnell vorankomme oder nicht, geht entsprechend schneller oder langsamer vor, baut kleine Fingerübungen ein, lobt mich fleißig, wenn ich Fortschritte mache usw. Habe ich ein Verständnisproblem, beantwortet mir ein Bot alle Fragen. Gitarrenlehrer: Euer Job ist Vergangenheit!
Bekanntes Problem: Die meiste Zeit im Selbstlernmodus zu verbringen, ist „eine brutale Herausforderung“, wie ein Lernender formuliert, der sich auf diese Weise zum „Agile Business Professional“ weitergebildet hat.
KI-generierte Avatare
Das mit der Präsenzphase gilt wohl weiterhin, tut schon gut, hin und wieder sich mal mit anderen, echten Mit-Lernenden auszutauschen. Allerdings, so die Anbieter entsprechender Produkte, es gibt durchaus Vorteile beim Austausch mit KI-generierten Avataren. Wo früher Verkaufsgespräche mit realen Personen trainiert wurden, kann man nun mit dem virtuellen Kollegen üben, manch einer traut sich hier, viel freier zu sprechen. Oder Fragen zu stellen, die man z.B. keiner Führungskraft oder Kollegen stellen würde.
Wird also der Traum nun doch endlich wahr? Zumindest geht so manches viel schneller, vor allem für Weiterbildungsanbieter. Das Erstellen von Lernstoff übernimmt nämlich praktischerweise die KI auch. Ich sage ihr, was ich für ein Training benötige und in welcher Form – und „was früher zum Teil drei Monate gedauert hat, schaffen wir jetzt an einem Tag!“.
Ich gehöre nach wie vor zu den Skeptikern, frage mich aber inzwischen, ob zurecht. Denn wer erinnert sich noch an die Zeiten, in denen wir als Trainer Folien mit dem Folienstift bemalten? Da war es teuer, wenn man sich mal verschrieben hatte. Dann kamen die Drucker, und obwohl solche Folien auch nicht billig waren, fiel es nun deutlich leichter, bei Nicht-Gefallen einfach eine kleine Änderung vorzunehmen und von vorne zu beginnen.
Das Gerät, über das man die Informationen darbot, nannte sich Overhead-Projektor. Die „Folien“ als „Charts“ per Beamer darzubieten, bestückt mit Grafiken, Bildern und Videos, ist heute Alltag. Aber vielleicht bald ebenso vergessen wie Folienschreiber. Warum sollte es hier anders kommen?
Lernen just in time?
An eine Sache aber glaube ich nach wie vor nicht: Im Beitrag in der Wirtschaftswoche ist die Rede vom Lernen in dem Moment, in dem man etwas braucht. Es wird also in den Alltag integriert. Als Beispiel wird ein Verkaufsgespräch oder eine Verhandlung genannt.
Da stellt der Einkäufer oder Vertriebler fest, dass er am gleichen Tag ein Gespräch mit einem Lieferanten oder Kunden hat und ist unsicher, ob er mit der betreffenden Person zu einem guten Ergebnis kommen wird. Sich jetzt erst mal für ein Training anzumelden, dass in drei Monaten stattfindet, hilft ihm wenig. Also meldet er sich flugs beim virtuellen Trainer an, stellt seine Fragen oder beschreibt sein Problem und bekommt den passenden Tipp.
Wunderbar, denken sich die Weiterbildungsbeauftragten in der Firma. So etwas brauchen wir, da können wir uns die teuren Trainings sparen. Mmmmh … wohl eher nicht. Ich komme noch mal auf mein Gitarrenbeispiel zurück, auch wenn das etwas hinken mag. Da stelle ich ganz plötzlich fest, dass ich einen Auftritt am gleichen Tag habe, und ich bin mir nicht sicher, ob ich die schwierigen Passagen fehlerfrei hinbekomme. Also frage ich mal eben meinen virtuellen Lehrer und der erklärt mir, wie das funktioniert?
Lernen ist was anderes
Wirkliches Lernen im Sinne von „eine Fähigkeit bzw. eine Fertigkeit zu beherrschen“, kostet Zeit. Wenn Ihnen jemand etwas anderes erzählt, schicken Sie ihn in die Wüste. Sicher – für ein technisches Problem bekomme ich per KI im Nu die passende Lösung. Wenn ich eine Pflanze bestimmen möchte, erhalte ich in Bruchteilen von Sekunden den korrekten Namen.
Aber danach bin ich weder Ingenieur noch Botaniker. Und selbst wenn ich gute Tipps für Verhandlungen oder Mitarbeitergespräche bekomme, wird mich das nicht zu einer Führungskraft oder Meister im Verhandeln machen.