16. November 2025

Management auf den Punkt gebracht!

Kultur der Fürsorge?

INSPIRATION: Wieder mal ein Beitrag, durch den ich mich eher gequält habe. Aber es hilft ja nichts – manchmal muss man einfach dadurch. Es geht um das Homeoffice und den psychologischen Vertrag. Den offenbar viele Unternehmen gebrochen haben, ohne es zu merken. Als die Menschen wegen der Corona-Pandemie ins Homeoffice geschickt wurden, war das für viele eine Herausforderung. Sie haben sich zu Hause eingerichtet, haben Privates und Berufliches unter einen Hut gebracht und ihre Produktivität im Homeoffice unter Beweis gestellt.

Genau das hat man ihnen vermutlich auch zurückgemeldet. Mehr noch: Man hat betont, wie wunderbar das geklappt hat. Und nun rufen viele Unternehmen diese Menschen wieder zurück ins Büro, genannt werden als Beispiele Amazon und Dell (Zurück ins Körbchen). Nebenbei bemerkt: In Deutschland sind die Firmen offenbar entspannter, laut einer Umfrage planen nur 4%, das Homeoffice wieder abzuschaffen.


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Wieso erleben die Beschäftigten das als „Vertragsbruch“? Ich verstehe das so: Vorher gab es den Vertrag, der für eine bestimmte Leistung an einem bestimmten Ort entsprechende Gegenleistungen versprach – in erster Linie ein Gehalt. Was übrigens schon ganz anders ist als vor vielleicht 40 Jahren. Damals versprachen Arbeitgeber weitaus mehr, zum Beispiel Sicherheit des Arbeitsplatzes und Altersvorsorge. Dieser psychologische Vertrag (gemeint als unausgesprochene Erwartungen, die bis dahin erfüllt wurden) ist längst aufgekündigt.

Wie die Pandemie die Erwartungen veränderte

Nun wurden neue Erwartungen an die Mitarbeitenden gestellt: Arbeitet von zu Hause, sorgt dafür, dass die Produktivität hoch bleibt, dass die Firma überlebt, dass die Kunden zuverlässig bedient werden. All das wurde geleistet. Wobei die Erfahrung gemacht wurde, dass der neue Vertrag auch einige Vorteile für die Mitarbeitenden enthielt, z.B. mehr Flexibilität und weniger Pendeln. Der neue psychologische Vertrag lautete jetzt: Ich bin überall erreichbar, sorge dafür, dass der Laden läuft, egal, wo ich mich aufhalte, und dafür bekomme ich wie gewohnt mein Gehalt.

„Nix da“, sagen nun die Arbeitgeber, „zurück ins Büro“. Und argumentieren mit den bekannten Gründen: Präsenz ist wichtig für die Neulinge, räumliche Nähe schafft Teamgeist und fördert die Kreativität, andere Mitarbeitende können gar nicht von zu Hause arbeiten, das ist ungerecht ihnen gegenüber usw. All das mag seine Berechtigung haben, hilft aber nichts gegen den Eindruck, dass hier mal wieder einseitig ein (psychologischer) Vertrag aufgekündigt wird.

Ethik der Gerechtigkeit?

Die Autoren führen das Arbeitgeberverhalten auf eine vorherrschende Ethik der Gerechtigkeit zurück. Soll heißen: „Man geht davon aus, dass universelle und objektive Prinzipien existieren, die sich auf alle Situationen anwenden lassen.“ Also sucht man auch beim Homeoffice nach Regeln, die für alle Beschäftigten gelten. Das, so die Botschaft, sei dann gerecht und fair. An dieser Ethik der Gerechtigkeit müsse sich etwas ändern. Sie sollte durch eine Ethik der Fürsorge ersetzt werden.

Nun bezweifle ich stark, dass es tatsächlich etwas mit der Vorstellung von Gerechtigkeit zu tun hat, wenn alle Mitarbeitende plötzlich wieder ins Büro zurückkehren sollen. Ich glaube, das ist eher auf eine „Ethik der Kontrolle“ oder „Ethik des Misstrauens“ zurückzuführen. Von der musste man während der Pandemie gezwungener Maßen einen Schritt zurücktreten, aber jetzt darf sie wieder ausgelebt werden. Das mit der „Fairness“ halte ich für vorgeschoben. Es interessiert ja auch sonst niemanden, wenn die einen feste Arbeitszeiten haben (z.B. im Kundendienst oder der Produktion), während die anderen sich ihre Zeit einteilen können. Von wegen „gleiche Regeln für alle“.

Neue Managementtheorie?

Letzteres ist also ohnehin Unsinn. Wie schaut es dann mit der Alternative aus, die da lautet: „Ethik der Fürsorge“? Gemeint ist, Fairness nicht als „Gleichbehandlung“ zu verstehen, sondern als „faire und fürsorgliche Gestaltung von Beziehungen“. Die den konkreten Einzelfall in den Mittelpunkt rückt. Das soll sogar eine neue Managementtheorie sein.

Naja, letztlich lautet die Botschaft: Schaut, (1) was sich richtig anfühlt, (2) was funktioniert und (3) was wichtig ist. Sehr pragmatisch. Und das kann zu sehr bemerkenswerten Ergebnissen führen, wie das ein Beispiel der Firma Casa Mendes Goncalvex (CMG) zeigt. Dort bekam die Personalchefin die Aufgabe, in der Produktion eine Vier-Tage-Woche einzuführen. Womit kompensiert werden sollte, dass die dort Tätigen eben nicht vom Homeoffice arbeiten können. Erstaunlich, oder?

Ethik der Fürsorge

Da werden die Menschen, die an universellen Prinzipien und Regeln hängen, aufschreien und das extrem unfair finden. Vermutlich die gleichen, die kein Problem damit haben, dass sie nicht mehr im Stau stehen und von zu Hause arbeiten können, während die anderen tagein, tagaus in die Firma fahren müssen.

Die Autoren liefern weitere Tipps, wie sie sich die Umsetzung einer Ethik der Fürsorge – bezogen auf das Thema „hybrides Arbeiten“ – vorstellen. Alles kein Hexenwerk: Es gilt, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Beziehungen möglich sind. Also regelmäßige Präsenzmeetings, ob nun wöchentlich, monatlich oder auch nur einmal im Jahr für mehrere Tage. Oder: Für transparente Richtlinien sorgen. Möglichst wenig starre Regeln. Aber wenn, dann auch klar machen, warum sie einzuhalten sind. Z.B dass Neulinge in den ersten sechs Monaten im Büro arbeiten müssen.

Und schließlich: Flexibilität zulassen. Eher Prinzipien als Regeln formulieren, und dafür sorgen, dass diese flexibel gehandhabt werden können. Dass Führungskräfte Spielraum haben, den „individuellen Kontext und die persönliche Situation des Einzelnen“ zu berücksichtigen. Oder, wie wir das schon mal berichtet haben: Die Teams legen selbst fest, wie, wo und wann sie arbeiten (Einfach nur noch Arbeit).

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Johannes Thönneßen

Dipl. Psychologe, Autor, Moderator, Mitglied eines genossenschaftlichen Wohnprojektes. Betreibt MWonline seit 1997. Schwerpunkt-Themen: Kommunikation, Führung und Personalentwicklung.

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2 Gedanken zu „Kultur der Fürsorge?

  1. ‚Mal ein praktische Überlegung und Erfahrung: Ehe in unterschiedlichen Wohnungen geht nicht – schon garnicht, wenn Kinder dabei sind.
    Eine Familie, die sich nicht sieht, riecht und spürt – zerfällt.

    Arbeitnehmer, Führungskräfte und Geschäftsleitungen brauchen ein sozial erlebte Identität.

  2. Ich denke der Knackpunkt liegt in der Transparenz. Aber wer will sich schon selbst eingestehen, dass er die Kontrolle behalten möchte? Solche Veränderungen und eine Kultur der Fürsorge – die ich komplett unterstütze!! – erfordert zuerst einmal eine schonungslose und kritische Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.

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