KRITIK: Ich bin verwirrt. Die moderne Technik erlaubt es, dass jeder jederzeit alle möglichen Menschen befragen kann. Eine Feedback-App macht’s möglich. Das soll die Partizipation erhöhen.
Ein Professor versucht im Personalmagazin (Am Puls der Mitarbeiter) die verschiedenen Instrumente der alten und der neuen „Feedback-Welt“ zu systematisieren und abzugrenzen. Er unterscheidet zum einen die Adressaten von Feedback (nämlich Individuen, Teams oder die ganze Organisation), Zielsetzung und Medium. Und dann gibt es noch die Unterscheidung in Mitarbeiterbefragung, Mini-Mitarbeiterbefragung, Pulsbefragung und Instant-Feedback (oder auch „Echtzeit-Feedback“). Alles klar?
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Nein, nichts ist klar. Das fängt schon mit dem Begriff „Feedback“ an. Ist eine Meinungsumfrage ein Feedback? Im weitesten Sinne schon, also ist auch eine Mitarbeiterbefragung eine Art Feedback. Aber würden Sie einem Unternehmen eine Feedback-Kultur bescheinigen, nur weil dort in regelmäßigen Abständen die Mitarbeiter befragt werden? Ich nicht, deshalb verstehe ich nicht, warum man nicht als Oberbegriff „Befragung“ verwendet.
Dann ergebe sich folgende Struktur:
(Große) Mitarbeiterbefragungen, die unregelmäßig, zentral gesteuert viele Aspekte erfassen.
Mini-Mitarbeiterbefragungen, die hin und wieder zu unterschiedlichen Themen durchgeführt wird – je nach Anlass.
Pulsbefragungen, die nur ein Thema betreffen, aber in sehr regelmäßigen Abständen durchgeführt werden, um Entwicklungen zu erfassen.
Instant-Befragung – praktisch eine Abstimmung zu einem Thema, um bezüglich einer bestimmten Entscheidung Meinungen einzuholen.
Was leisten moderne Apps dabei? Diese bieten die Möglichkeit, auf schnellstem Weg die Mitarbeiter zu erreichen, ohne große Verteilung von Fragebögen. Das klingt es mal gut. Sie bieten auch die Möglichkeit, dass „alle Führungskräfte zu einem beliebigen Zeitpunkt ein vollständig anonymisiertes Echtzeitfeedback von zehn oder auch 10.000 Mitarbeitern einholen“ können.
WER WILL DAS? Mal im Ernst und an einem Beispiel: Eine Führungskraft organisiert eine Besprechung. Anschließend wird die App angeworfen und alle Teilnehmer geben anonym Feedback mit dem Ergebnis: Das war nix. Die Führungskraft schiebt eine Mini-Umfrage hinterher, mit der sie mit offenen oder geschlossenen Fragen die Gründe für die Unzufriedenheit erfragt. Klingt gut? Wie wäre es damit: Am Ende der Besprechung fragt die Führungskraft, wie es war und was man besser machen kann.
„Das ist nicht anonym, und erfahrungsgemäß äußern sich dann immer nur die gleichen Mitarbeiter, wenn überhaupt“, lautet der übliche Einwand. Tja, dann hat das Unternehmen in der Tat keine „Feedback-Kultur“ – dafür jetzt Feedback-Apps. Wie viele solcher „Instant-Feedbacks“ verträgt denn ein Mitarbeiter?
Treiben wir es mal auf die Spitze: Tagesordnungspunkt 1 ist geschafft – die App erfragt die Zufriedenheit, alle tippen ihre Bewertung ein, eine Grafik auf dem großen Bildschirm am Ende des Raums zeigt das Ergebnis. Und dann?
Meine Vermutung: Die Entwickler und Anbieter solcher Apps werden eine Weile gutes Geld verdienen, dann versandet das Ganze und irgendwann fangen die Menschen an, einfach mal miteinander zu reden.
Bleibt noch das Thema „Partizipation“. Das Management überlegt, viel Geld in eine Akquisition zu stecken. Per Instant-Befragung werden alle Manager (oder gar alle Mitarbeiter) um ihre Meinung dazu gebeten. Und dann? Dann weiß das Management, dass die Mehrheit dagegen bzw. nicht überzeugt ist. Hilft das bei der Entscheidung? Ohne eine Diskussion, ohne Argumentation und Auseinandersetzung dürften solche „Stimmungsbilder“ maximal verunsichern – es sei denn, man möchte ein echtes Votum wie beim Brexit (wobei das dort vermutlich auch niemand wollte), dem man anschließend folgt. Und wer will das?