KRITIK: Ein bisschen geht es mir so wie Herrn Sprenger, der sich in der Wirtschaftswoche über den Trend zum hierarchiefreien und damit zum selbstorganisierten Unternehmen auslässt. Aber eben nur ein bisschen. Eigentlich findet er sie ja gut, die Selbstorganisation. Andererseit: So ganz ohne Führungskräfte geht auch nicht.
Laut Sprenger ist Führung ein „Kooperationsparasit“ und „Lückenbüßer für alles, was sich im Unternehmen nicht von selbstlaufenden Prozessen erledigen lässt“ (Oben ohne, zumindest ein bisschen). Das ist eine Sichtweise, die man vielleicht viel stärker in Führungsseminaren betonen müsste. Wäre doch eine witzige Botschaft: „Meine lieben Führungskräfte und Führungskräfteanwärter, Sie sitzen hier, um zu lernen, wie Sie am besten vorgehen, falls die Menschen in der Organisation mal allein nicht weiterkommen, sich verrannt haben, sich zu sehr auf ihren Lorbeeren ausruhen und die Anzeichen von Krisen übersehen. Und Sie lernen hier, wie man sich raushält, wenn die Menschen prima allein klar kommen. Wenn alles gut läuft, dann brauchen Sie während Ihrer ‚Amtszeit‘ gar nicht aktiv zu werden.“ Ist ja im Grunde auch das, was immer häufiger propagiert wird: Die Führungskraft als Coach, die begleitet und berät, wenn es nötig ist.
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Aber da gibt es noch eine Funktion von Führung, die wieder und wieder angeführt wird, wenn es darum geht, Hierarchie „abzuschaffen“: Wer entscheidet, wenn selbstorganisierte Teams überfordert sind? Laut Sprenger hat es disziplinierende Wirkung, wenn Teams wissen: „Das letzte Wort wird woanders gesprochen.“
Einspruch
Und hier kann ich Sprenger nicht folgen. Klar, die Dynamik in Teams ist schwierig. Und damit Entscheidungsprozesse in Teams funktionieren, müssen diese sehr erfahren, geschult, informiert und kompetent sein, vor allen in Sachen Kommunikation. Es ist sicher auch richtig, dass dies in vielen Organisationen, die jetzt wieder begeistert Teamarbeit einführen, dramatisch unterschätzt wird. Aber meine Erfahrung ist: Wenn Teams wissen: „Egal was wir machen, da ist jemand, der am Ende draufschaut und die letzte Entscheidung trifft“, dann hat das weniger disziplinierende Wirkung als zur Folge, dass man beim geringsten Widerspruch nach der Führungskraft ruft: „Dann soll das eben der Chef entscheiden, wozu ist er denn da? Er trägt schließlich die Verantwortung.“
Sprenger hält nichts davon, Selbstorganisation zum Prinzip zu machen. Das sei wie so oft ein Vorgehen nach dem Motto „ganz oder gar nicht“. Er plädiert für ein „mehr oder weniger“. Aber könnte man nicht Selbstorganisation zum Prinzip, zur Regel machen und Führung (im Sinne von Entscheidungsgewalt) zur Ausnahme? Aber vielleicht meint er das ja mit „mehr oder weniger“ … Ich habe auf jeden Fall die Erfahrung gemacht, wenn man konsequent ablehnt, Entscheidungen für andere zu treffen, dann sind Gruppen und Einzelne sehr wohl in der Lage, ohne hierarchische Führung klar zu kommen.