INSPIRATION: Ich freue mich immer über Texte meines Kollegen Winfried Berner. In einem kurzen Essay in der OrganisationsEntwicklung (Wahre Selbsttäuschung) hat er sich mit dem Thema „Wahrhaftigkeit“ oder „Authentizität“ auseinander gesetzt. Und was das mit der Kunst der Selbsttäuschung zu tun hat.
Die Argumentation ist wie folgt: Ein Manager A, der arge Zweifel an der Strategie hat, die er seinen Mitarbeitern verkaufen will, wird diese kaum überzeugen können, wenn er seine Zweifel kund tut. Also könnte er in Versuchung geraten, diese eben nicht zu äußern, Dinge einfach wegzulassen, die die Strategie in Frage stellen. Also nicht zu lügen, aber eben auch nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Womit er ganz bewusst in Kauf nimmt, dass ein falscher Eindruck entsteht, eben weil er ansonsten befürchtet, dass die Strategie nur halbherzig umgesetzt wird.
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Zutiefst überzeugt
Nur, so Berner, ist das mit der Wahrheit so eine Sache. Der Kollege dieses Managers in einem anderen Unternehmen hat sich auch eine neue Strategie überlegt, und diese so oft mit seinen Beratern diskutiert, dass er inzwischen völlig von ihr überzeugt ist. Weil es nach so harter Arbeit ja gar nicht sein kann, dass sie noch immer auf wackeligen Beinen steht. Das nennt man den „Overconfidence Effekt“ (nach Kahnemann & Tversky). Wenn Manager B nun vor seine Mannschaft tritt, dann verkündet er seine Strategie ohne die geringsten Zweifel. Aber damit ist sie keineswegs richtiger. Sie kann sogar völlig falsch sein, und dennoch ist der Manager in diesem Moment „wahrhaftig“. Er glaubt an das, was er sagt.
EIne interessante Schlussfolgerung: Die Kunst der Selbsttäuschung ist die Voraussetzung, dass wir auch anderen etwas vormachen können. Das ist wohl wahr. Dieser Manager hat es viel leichter, überzeugend zu sein als derjenige, der sich der Lücken in der Strategie bewusst ist, aber versucht, sie dennoch überzeugend zu vermitteln.
Nur, lieber Kollege, was sagt uns das? Könnten nicht beide wahrhaftig oder authentisch kommunizieren und gleichermaßen überzeugend sein? Manager A könnte sagen: „Wir haben diese Strategie wochenlang diskutiert, alle Vor- und Nachteile abgewogen und sind schließlich zu dieser Entscheidung gelangt. Nach wie vor habe ich Zweifel, ob die Strategie aufgeht, aber zum jetzigen Zeitpunkt erscheint sie mir als die beste aller möglichen Strategien, sonst würde ich sie hier nicht präsentieren.“
Manager B könnte sagen: „Wir haben diese Strategie wochenlang diskutiert, alle Vor- und Nachteile abgewogen und sind schließlich zu dieser Entscheidung gelangt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir damit die optimale Strategie gefunden haben. Wohlwissend, dass niemand davor geschützt ist, sich zu irren und man, selbst wenn man noch so sorgfältig alle Argumente abwägt, am Ende daneben liegen kann.“
Ich glaube, ich würde beiden Managern folgen – weil beide erklären, nicht im Besitz der Wahrheit zu sein. Anders als so mancher Politiker und Populist – egal, wie „erfolgreich“ er gerade zu sein scheint.