KRITIK: Revolutioniert Chat GPT das HR-Management? Eine Studie der HTW Berlin suggeriert, dass die Überlegenheit von KI über menschliche Fähigkeiten in bestimmten Bereichen des Personalmanagements kein bloßes Zukunftsszenario mehr ist.
Angeblich arbeitet man im HRM schon seit einiger Zeit mit People Analytics, kann man immer wieder lesen (Digitale Strippenzieher). Doch vermutlich ist das Wunschdenken, das Beratungsfirmen verbreiten. Oder es stimmt auch bloß für manche Bereiche, Unternehmensgrößen et cetera. Ich vermute, vor Ort hat das gute alte Excel-Sheet noch lange nicht ausgedient. Aber jetzt ist Chat GPT verfügbar. Was für eine Verlockung!
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Wobei man immer wieder hören kann, Chat GPT halluziniere und lüge, dass sich die Balken biegen. Experten mahnen daher zur Vorsicht. Die Reise zur KI-Revolution scheint komplexer zu sein als gedacht, meinen die Autoren von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin (Wie Chat GPT das Personalmanagement verändert). Erste Ergebnisse einer Studie legen den Schluss nahe, „dass die KI in bestimmten Bereichen des HR-Managements tatsächlich menschlichen Fähigkeiten überlegen ist.“
Automatisierung und Effizienzsteigerung locken
„Die Fähigkeit, komplexe Fragestellungen ohne umfangreiches Vorwissen zu bearbeiten, bietet enorme Potenziale, um Arbeitsprozesse zu optimieren und die kreative Problemlösung zu fördern.“ – Ich drehe das einmal sarkastisch: Selbst der unbedarfteste HR-Mitarbeitende kann mit KI nun mächtig rumwirbeln und Eindruck schinden. Unweigerlich fühle ich mich an Goethes Zauberlehrling erinnert. Wobei die Autoren gleich von „hybrider Intelligenz“ schwärmen. Damit sei die Kombination von Mensch und Maschine gemeint. Auch hier kann ich das Lästern nicht lassen: Es suggeriert, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile sei. Das erinnert mich an die Allegorie vom Blinden und Lahmen. Oder um es neudeutsch auszudrücken: A fool with a tool is still a fool.
Was haben denn nun die Forscher der HTW Berlin herausgefunden? „Das Ziel der Studie war es zu bewerten, inwiefern eine sogenannte hybride Intelligenz (…) in der Leistungsfähigkeit mit der rein menschlichen Expertise mithalten kann.“ 51 Fachkräfte aus dem Personalmanagement bekamen Aufgaben aus den Feldern Arbeitsrecht, Personalgewinnung und Entgeltgestaltung gestellt, die sie lösen sollten. Die einen arbeiteten konventionell. Die andere Teilgruppe durfte zusätzlich Chat GPT (Version 3.5) nutzen. Die Ergebnisse wurden von menschlichen Experten hinsichtlich Effizienz und Qualität blind bewertet.
Die Ergebnisse
Was gleich auffiel: In allen Szenarien war die KI-Gruppe schneller. Da lacht das Herz des Controllers! Doch waren sie auch gleich gut oder besser? Nein. Und zwar durch die Bank nicht. Offensichtlich macht KI dümmer. An dieser Stelle lohnt es sich, die Aufgabenstellungen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen:
- Arbeitsrecht: Aufgaben von der Bewertung einer Werkstudentenstelle, über die Regelung der Kündigungsfrist eines langjährigen Mitarbeiters bis hin zur Kostenerstattung für ein Vorstellungsgespräch waren zu bearbeiten.
- Personalgewinnung: Die Aufgabe bestand darin, eine Stellenausschreibung für eine Projektmanagerposition zu entwerfen.
- Entgeltgestaltung: Eine neu zu besetzende Stelle als Junior-Softwareentwickler sollte ins interne Gehaltsgefüge einsortiert werden.
Kennen Sie, liebe Leser:innen, den Cartoon, in dem ein Personalauswählender einer heterogenen Bewerbergruppe (bestehend aus Tieren: vom Goldfisch über einen Vogel bis zum Affen) die gleiche (AC-)Aufgabe stellt? Klettern Sie auf diesen Baum! – Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man lachen: Fröhliche Wissenschaft! Ein wenig Nietzsche-Lektüre könnte schon weiterhelfen. Dann würde man sich die lang und breit dargelegten Vorteile eines Zeitgewinns in Größenordnungen von wenigen Sekunden oder Minuten vermutlich verkneifen. Und noch mal grundsätzlicher nachdenken.
Von allem den Preis und von nichts den Wert
„Scheinbar übersteigt das menschliche Wissen und Verständnis, das in der Rechtsberatung erforderlich ist, die derzeitigen Fähigkeiten von Chat GPT,“ schlussfolgern die Autoren. Ohne sich zu fragen, ob man im Recruiting und der Entgeltgestaltung nicht auch mit mehr Wissen und Verständnis weiterkommen könnte. Vor allem auch deshalb, weil der Rahmen der Fragestellung gar nicht zur Disposition stand. Für mich eine Frage der Validität.
Es wundert nicht, dass die Forschenden anraten, die HR-Mitarbeitenden noch besser im Umgang mit KI zu schulen. Super-Idee, nur überhaupt keine Antwort auf meine gerade aufgeworfene Frage. Und wie kommentieren die Forschenden das bessere Abschneiden der konventionellen Gruppe gegenüber der KI-Gruppe im Bereich Entgeltfindung? Mit dem Fingerspitzengefühl! Na, diese Antwort sollte mir einmal ein Studierender in der Prüfung geben …
Und dann gibt es da noch den Hinweis darauf, dass Chat GPT 3.5 veraltet sei. Die neuen Versionen seien schon viel besser. Ist klar, Chef … So richtig wird aber erst ein Schuh draus, wenn KI-Anbieter eine spezifisch auf Arbeitsrecht trainierte Anwendung den Unternehmen anbieten (Marke Eigenbau). Die „irrt“ dann nie.
Da komme mir jetzt keiner mit der soziotechnischen Systemtheorie. Die Technik kann das ganz allein. Die Mitarbeitenden brauchen dann auch kein Studium mehr, ach was, auch keine Schulausbildung … Oder: Warum braucht man dann überhaupt noch Mitarbeitende? Warum eine hybride Intelligenz, wenn es auch ohne Nachdenken, voll automatisch geht? Die Forschenden von der HTW Berlin, sie pfeifen bloß im Walde (Kapitulation vor der KI).