INSPIRATION: Das härteste Feedback, dass ich je erleben durfte, fand in einem Krankenhaus statt, und es war alles andere als erwünscht. Die Frage ist berechtigt: Wie offen erzählen wir anderen, was wir über sie denken? Wie viel Offenheit kann man in einem Unternehmen erwarten? Und wie steht es mit Empathie?
Fangen wir mal mit der letzten Frage an: Wenn Menschen aufgefordert werden, ihren Führungskräften die Meinung zu sagen, ist es ja nicht ganz unberechtigt, wenn man ihnen dabei Anonymität zusagt. Warum? Weil die Machtverhältnisse unausgewogen sind. „Je mehr Macht jemand hat, desto vorsichtiger wäre ich“, sagt Armin Trost in der Wirtschaftswoche (Wahrheit oder Pflicht). Da mag vielleicht jemand seinem Teamleiter sagen können, dass dieser mal wieder eine Besprechung unnütz in die Länge gezogen hat. Aber einem Mitglied des Vorstandes zu erklären, dass sein letzter Auftritt auf der Betriebsversammlung ziemlich uninspiriert war, wird man sich wohl gut überlegen.
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Feedback-Kultur
Dennoch faseln Manager immer wieder was von einer Feedback-Kultur und dass man in ihrem Unternehmen ungeschminkt die Wahrheit sagen könne. Und das nicht nur einmal im Jahr, sondern ständig, möglichst zeitnah nach einem Ereignis oder gerne auch per App. Ist es realistisch, dass hier ehrlich kommuniziert wird? Der Begriff „Ausdrucksvorsicht“ soll von Luhmann stammen und beschreibt, dass wir in der Regel erwarten, dass Kollegen mit uns respektvoll und angemessen umgehen – dazu gehört eben nicht, einem anderen ungefiltert die eigenen Eindrücke um die Ohren zu hauen.
Was ist aber umgekehrt? Sollen Führungskräfte ihren Mitarbeitenden reinen Wein einschenken? Zunächst einmal sind Führungskräfte auch nur Menschen. Und als solche tun sie sich genauso schwer damit, andere zu verletzen. Zum einen wissen sie oft nicht, ob der Mitarbeitende sich die Rückmeldung allzu sehr zu Herzen nimmt und Schaden davon trägt – wer will schon dafür verantwortlich sein? Zum anderen ist es trotz des Machtgefälles auch klar, dass Führungskräfte auf ein motiviertes Team angewiesen sind. Wer also zu hart formuliert, könnte der Motivation bleibenden Schaden zufügen.
Feedback mit Machtgefälle
Also lieber doch nicht zu jeder Zeit Rückmeldungen verteilen. Aber wann dann? Eine mögliche Antwort: Den anderen fragen. Von beiden Seiten. „Hör mal, ich würde dir gerne zu dem Meeting gestern eine Rückmeldung geben. Möchtest du?“ Und umgekehrt: „Ich würde gerne von dir ein Feedback über meinen Entwurf von gestern bekommen. Wärst du dazu bereit?“ Denn so viel wissen wir doch längst: Ungewolltes Feedback fällt selten auf fruchtbaren Boden. Wenn es hingegen gewünscht ist, besteht zumindest die Chance, dass der andere darüber nachdenkt. Ob er etwas damit anfängt, ist ohnehin seine Angelegenheit.
Im Beitrag der Wirtschaftswoche wird erklärt, dass z.B. Ausbilder die Pflicht zum Feedback haben, das sei ihre Rolle. Mag sein, aber auch hier hilft das nichts, wenn der andere nicht bereit zur Annahme von Feedback ist. Ich denke, dass auch hier die Frage von beiden Seiten gestellt werden sollte. Achtung: Hier darf man Feedback nicht mit Beurteilung verwechseln! Wenn Ausbilder oder Lehrer auf Grund einer Prüfungsordnung gezwungen sind, Ergebnisse zu bewerten oder Führungskräfte solche Urteile im Rahmen eines Mitarbeitergespräches fällen müssen, hat das nichts mit Feedback zu tun.
Zum Beispiel vom Anfang. Ein Arzt betritt das Krankenzimmer eines Patienten, der unheilbar krank ist, aber die Hoffnung auf Heilung noch nicht aufgegeben hat. Der Arzt schaut sich die Krankenakte an und fragt, ob er nicht mal langsam anfangen möchte, seine Angelegenheiten zu ordnen, allzu viel Zeit hätte er ja wohl nicht mehr. Das Beispiel ist nicht erfunden. Es war ehrlich, offen und unmissverständlich. Wie viel menschlicher wäre es gewesen zu fragen, wie sich der Patient fühlt, was er selbst über den Fortgang der Krankheit denkt und ob er an einer Einschätzung durch den Arzt interessiert ist?