INSPIRATION: Wenn Gruppen vor einer Richtungsentscheidung stehen, gibt es häufig mehr als eine Meinung, was denn nun die richtige Entscheidung sei – dazu muss man gar nicht auf die vielen Diskussionen in der Corona-Zeit zurückblicken, obwohl dort die Schwierigkeit, auf einen Nenner zu kommen, mehr als deutlich wurde.
Manchmal können viele verschiedene Meinungen sehr erfrischend sein und zu ganz neuen Erkenntnissen führen. Häufiger jedoch entstehen Konflikte, in denen es darum geht, wer denn nun Recht hat. Oder darum, wer am Ende gewinnt. Oder darum, wer bei welcher Lösung am meisten profitiert, während andere sich benachteiligt fühlen.
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Noch häufiger allerdings kommt es vor, dass eine Entscheidung fällt, ohne dass darüber groß diskutiert wird. Auch wenn es sehr unterschiedliche Ansichten gibt. Würde man diese äußern, riskierte man die Machtprobe und eine offene Auseinandersetzung, das ist mühsam und es droht eine Eskalation bis hin zur Spaltung und Gesichtsverlust – Corona lässt grüßen. Also wird lieber geschwiegen. Mit dem Nachteil, dass zugunsten der „Verträglichkeit“ eine nicht optimale Entscheidung getroffen wird (Der Charme der Unschärfe – Konfliktmanagement in Gruppen).
Es scheint, als sei die Gruppe entscheidungs- und damit leistungsfähig – nur bleiben die unausgesprochenen Konflikte lebendig „und aktualisieren sich immer wieder in Form kurz aufflammender Streitigkeiten.“
Wenn dann ein Vermittler geholt wird, heißt das noch lange nicht, dass dann die verschiedenen Haltungen offen zur Sprache kommen. Gruppen sehnen sich nach schnellen Lösungen ohne langwierige und riskante Diskussionen – oft geben sie sich dann mit der nächstbesten Lösung zufrieden. Und kann sich dann wieder der „eigentlichen Aufgabe“ widmen.
Vertraute Tendenzen
Es könnte hier helfen, den Gruppen ein wenig die Augen zu öffnen und ihnen typische Mechanismen vorzustellen, wie es zu solch impliziten Einigungen kommt. Hier die vertrauten Tendenzen, die uns die Sozialpsychologie lehrt und für die es auch Entsprechungen in der Natur gibt:
- Kohäsion: Bewege dich in Richtung des Mittelpunktes derer, die du in deinem Umfeld siehst. Hier nur der Hinweis auf die bekannten Experiment von Solomon Asch.
- Separation: Beweg dich weg, sobald dir jemand zu nahe kommt.
- Alignment: Bewege dich ungefähr in die gleiche Richtung wie deine Nachbarn.
Damit kann man schon mal zeigen, was mit „an einem Strang ziehen“ gemeint ist und mit, dass „niemand aus der Reihe tanzt“.
Entscheidungsmuster
Trotzdem muss ja irgendjemand dafür sorgen, dass irgendeine Richtung eingeschlagen wird. Wenn sich alle von Anfang an bedeckt halten, passiert ja gar nichts. Hier gibt es drei typische Verläufe:
- Sicherheit bzw. Kompetenz: Wenn jemand ruhig und zielstrebig eine Richtung vorgibt, folgt die Gruppe oft gerne. Ruhe und Sicherheit werden oft als Kompetenz interpretiert: „Da sagt jemand etwas so überzeugend, da muss er sich ja sicher sein.“ Dumm nur, wenn dahinter eben keine Kompetenz steht, sondern Selbstüberschätzung.
- Bedeutung bzw. Position: Gemeint ist, dass alle auf diejenige Person schauen, die eine besondere Position innehat. Weil sie ihr von oben verliehen wurde oder weil sie ihr von der Gruppe angetragen wurde. Ohne große Diskussionen wird dann gefolgt, da genügen manchmal einfache nonverbale Signale – was im ungünstigsten Fall zu vorauseilendem Gehorsam wird.
- Impulsivität bzw. Vehemenz: Bricht es aus einem Teilnehmer unerwartet heftig heraus, kann auch das dazu führen, dass es „zu raschen konfliktfreien Richtungsänderungen des gesamten Verbundes“ kommt.
- Masse bzw. Quorum: Kennen Sie das wunderschöne Phänomen, wenn sich im Herbst die Stare auf Hochleitungen versammeln. Ständig erhebt sich einer oder mehrere, aber sie kehren wieder zurück. Erst wenn eine bestimmte Menge von Tieren abhebt, folgen die andere „dem sich abzeichnenden Trend“. So ähnlich verhalten sich auch die Mitglieder von Gruppen. Sie warten, bis sich ein Trend abzeichnet, und folgen ihm.
Es wird deutlich, dass dies zwar recht nützliche Prinzipien sind, um den (vordergründigen) Frieden zu sichern, aber man muss sich anschließend nur mal auf den Fluren umhören, wie die tatsächlichen Meinungen sind. Dann könnte sich herausstellen, dass eine Entscheidung getroffen wurde, die „die schweigende Mehrheit nie gewollt hat.“
Vorschlag des Autors: Solche Mechanismen und ihre Wirkungen transparent machen, wenn man in Gruppen gerufen wird, die mit ihren Entscheidungsfindungsformen unglücklich sind. Allein das könnte schon zu Aha-Erlebnissen führen.
