15. Oktober 2025

Management auf den Punkt gebracht!

Dialogorientierte Unternehmenskultur

KRITIK: Klingt gut, dieses Führungsverständnis: Zuhören, Lösungen finden, nachhaltig denken und kooperieren. So die vier Säulen bei der Daimler Truck AG. Deren Head of People & Development erklärt in der Personalführung, wie HR dafür sorgt, dass diese Prinzipien auch gelebt werden. Macht mich natürlich immer sehr neugierig. „Vielleicht“, denke ich, „hat da jemand eine wirklich gute Idee, denn daran sind schon viele andere vorher gescheitert.“

Gleichzeitig ahnte ich schon beim Titel (Führungskräfte erhalten Feedback), dass die Toolbox keine Neuerfindung enthält. Zumal der Untertitel – „Daimler Truck fördert Zuhören strukturell und instrumentell“ – schon andeutet, dass es auch hier wieder um „Instrumente“ geht. Welche sind das?


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Erst einmal ist viel die Rede von „Vertrauen schaffen“, von psychologischer Sicherheit, vom offenen Austragen von Konflikten. Und dann erfahren wir, wie das praktisch funktioniert: Mithilfe eines 360-Grad-Feedbacks. Gemeint ist, dass jede Führungskraft jedes Jahr ein Feedback einholt von je drei Mitarbeitenden und drei Kollegen. Macht sechs Gespräche pro Jahr, die jeweils ca. 20 Minuten dauern und damit einen vertretbaren Aufwand von zwei Stunden pro Jahr darstellen. Wohlgemerkt: Das alles ist verpflichtend – keine Freiwilligkeit, keine Empfehlung! Was an sich schon nicht funktionieren kann (Zwang zum Feedback).

Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch

Es wird ziemlich häufig betont, dass es sich hier um ein nicht-anonymes Feedback handelt – klar, es sind ja persönliche Gespräche. Offenbar ist auch eine Struktur für diese Gespräche vorgegeben oder zumindest empfohlen: Die Feedbackgeber*innen erläutern ihre Wahrnehmung des Verhaltens, dessen Wirkung auf sie und was sie sich für die Zukunft wünschen (Wunsch). Die Feedbacknehmer*innen ordnen das Gehörte in drei Kategorien ein: Welche Verhalten sie beibehalten wollen (Keep), was sie neu ausprobieren möchten (Start) und was sie in Zukunft einstellen wollen (Stop).

Aus all dem lernen die Führungskräfte und entwickeln sich weiter. Da hätte ich eine Menge Fragen, hier nur eine kleine Auswahl: Wen mögen die Führungskräfte wohl für ein solches Feedback auswählen (vor allem, wenn sie mit sehr kritischen Stimmen rechnen müssen)? Wie offen werden die Feedbackgeber wohl sein (angesichts der Tatsache, dass sie ja selbst Feedbacknehmer (zumindest die Kollegen) oder von der Beurteilung der Führungskräfte abhängig sind (die Mitarbeitenden). Wie überprüft HR, ob die Gespräche wirklich stattfinden und ob sie den gewünschten Effekt haben? Was passiert, wenn trotz des geringen Aufwandes die Gespräche nicht stattfinden? Und genügen zwanzig Minuten für ein fundiertes Feedback?

Klassische Werkzeugkiste

Was mich pessimistisch stimmt an diesem Versuch, eine Vertrauenskultur zu schaffen, ist die Formulierung „Integration in das Performance- und Potenzialmanagementsystem“. Da ist die Rede davon, dass „ein geordneter Zielvereinbarungsprozess den 360-Grad-Feedbackprozess optimal ergänzt“. Echt jetzt? Ich fürchte, die beiden Anliegen torpedieren sich gegenseitig. Und dann noch das: Die Zielvereinbarungen sind Grundlage für die Leistungsbeurteilungen. Ich dachte, die Idee sei längst begraben, nun taucht sie hier in einem Beitrag über Vertrauenskultur auf.

Und schließlich noch zwei Werkzeuge aus der Toolbox der Personaler: Potenzialbeurteilung sowie Vergütung (die hier in einem Absatz mit Anerkennung erwähnt wird). Wozu das alles? Es geht um die Ausgestaltung einer „High-Performance-Kultur“. Ich dachte wirklich, dieses alte Instrumentarium wäre längst in der Mottenkiste der Personalentwicklungsgeschichte gelandet. Hätte große Lust mal von praktischen Erfahrungen zu hören, wer weiß, vielleicht gelingt es uns ja, dazu einen Webtalk anzubieten …

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Johannes Thönneßen

Dipl. Psychologe, Autor, Moderator, Mitglied eines genossenschaftlichen Wohnprojektes. Betreibt MWonline seit 1997. Schwerpunkt-Themen: Kommunikation, Führung und Personalentwicklung.

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3 Gedanken zu „Dialogorientierte Unternehmenskultur

  1. Wir haben bei uns im Unternehmen einen Mittelweg zwischen anonym und direkt gewählt: Vor der Leistungsbeurteilung einer Führungskraft werden von der beurteilenden Person Vorschläge für Personen gemacht, und auch die zu beurteilende Führungskraft schlägt Personen vor, mit denen während des Beurteilungszeitraums viel zusammengearbeitet wurde. Außerdem werden die MitarbeiterInnen der Führungskraft befragt. Dieses Feedback ist nicht anonym, wird aber auch nicht direkt an die beurteilte Führungskraft, sondern nur an die beurteilende Person weitergeleitet. Diese hat dann den Auftrag, das Feedback angemessen einfließen zu lassen, ohne direkt weiterzugeben, welche Personen welches Einzelfeedback gegeben haben.
    Das fordert allerdings die Verantwortung der beurteilenden Führungskraft, die sich daher angemessen mit dem Feedback beschäftigen muss und es in Relation zur eigenen Leistungswahrnehmung setzt.

  2. Solange nicht Jedem garantiert ist, dass ihm nichts passiert, wird es auch keine Feedbackkultur geben. Für mich ist es nur „Schönrederei“ der HR-Leute.

  3. Feedback ist gut und sinnvoll. Wodurch sonst kann ich mich weiterentwickeln? Blinde Flecken kann! Ich nun mal nicht sehen. Ich bin dankbar für Feedback. Ich brauche ehrliche Rückmeldungen. Nur dann werde ich als FK besser und damit die Mitarbeitenden. Nur dann kann ich noch besser steuern fordern fördern optimieren….
    Ich gehe schlicht davon aus, dass es ehrlich ist, weil ich auch immer ehrliches Feedback gebe, wenn nicht, würde ich das der Person direkt im Gespräch sofort auf der Meta-Ebene rückmelden und um authentisches Feedback bitten.
    Also: Wenn wir Wahrhaftigkeit vorleben, wenn wir ernsthaft wertschätzend Feedback erbitten, dann wird sich diese authentische Kultur festigen – das ist der Weg.

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