INSPIRATION: Ende 2023 kündigt Bosch an, das Produktgeschäft im Bereich Building Technologies zu verkaufen. Das betrifft 4.300 Mitarbeitende an 90 Standorten. Nur ein weiteres M&A-Beispiel? Oder ein kleines Lehrstück?
Die Geschichte startet wie so oft: Die Mitarbeitenden fallen aus allen Wolken. Und dann ziehen sich die Verhandlungen hin. Mehr als ein Jahr dauert es von der ersten Ankündigung bis zum „Signing“. Das macht mürbe. „Bei Desinvestitionen liegt der Fokus häufig auf Führung, Strategie, rechtlichen und technischen Aspekten – die menschliche Seite wird in der Regel selten berücksichtigt. Dabei sind es gerade die beteiligten Personen, die den Erfolg oder Misserfolg eines solchen Prozesses maßgeblich beeinflussen.“ Die Autorengruppe (Zwischen Strategieumsetzung und Trennungsschmerz) hat das alte Problem bei M&A klar erkannt.
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Seit mehr als 20 Jahren berate und begleite ich Mitarbeitende und Führungskräfte in Non-Profit-Organisationen, sozialen Einrichtungen, Vereinen und Verbänden bei individuellen oder strukturellen Entwicklungs- und Veränderungsprozessen. Zur Webseite...

Zum Glück konnte man eine Masterstudierende gewinnen, das Projekt zu begleiten. Sie führte 15 Experteninterviews mit Führungskräften aus drei Ländern. Und kein Wunder, das Thema Emotionen kristallisierte sich dabei als zentral heraus. Diese wurden über den Prozess hinweg visualisiert. Auch nicht neu. Man kennt diese klassischen Change-Kurven à la Kübler-Ross nur zu genau: Beraterlatein. Doch die Erkenntnis bei Bosch war eine andere. Es zeigte sich eine Bandbreite an Emotionen. Während die einen mit Schock, Enttäuschung und Angst reagierten, zeigten die anderen Neugier und sogar Vorfreude.
Veränderung braucht differenzierte Begleitung
Na, das ist doch mal spannend: Beraterlatein wird entzaubert. Und das ist doch auch die Botschaft der modernen Emotionspsychologie: Nicht Eindeutigkeit, sondern Variation und Vielfalt sind die Regel (Emotionen: Gefühlsduselei vermeiden). Veränderung braucht emotionale Begleitung, schließen die Autorinnen daraus. Was natürlich auch nicht neu ist (Und wenn dann der Change anklopft …). Aber die Schlussfolgerung der Autorinnen lautet: Differenzierung. „Deshalb wird ein breites, kontinuierliches Angebot benötigt: Verlässliche, regelmäßige Dialogformate, um den Trennungsprozess nachvollziehbar zu machen, gemeinsam zu reflektieren und einen Raum zu geben, wo jegliche Emotionen Platz haben – vertikal innerhalb von Organisationseinheiten ebenso wie horizontal über Bereichsgrenzen hinweg.“
Und wie auch andere Autoren zuvor schon sagten: Die Führungskräfte sind bei M&A zentral gefordert. Und zwar doppelt: Sie sind selbst Betroffene, müssen aber andere Betroffene führen. Ein sogenannter Leadership Lunch zum informellen Austausch unter den Führungskräften, aber auch mit der Geschäftsleitung, wurde implementiert. Zudem wurde ein globales Change Agent Network gegründet. Es ist ein Netzwerk von Mitarbeitenden, verstanden als Veränderungsbotschafter, die in ihren jeweiligen Teams agierten und sich global austauschten. „Das Netzwerk wurde in der wissenschaftlichen Analyse von Teilnehmenden als echter ‚Game Changer‘ bezeichnet, da es Menschen aus unterschiedlichen Hierarchieebenen, Fachbereichen und Kulturen zusammenbrachte und so eine neue, kollektive Perspektive auf den Carve-out ermöglichte.“
Desinvestition – ein kaltes Wort
Jetzt ist das Stichwort schon zweimal gefallen: Carve-out. Ehrlich gesagt: Ich mag es nicht. Das klingt so nach Fleischermesser, nach Amputation. Warum muss man solche Begriffe benutzten? Ein zweites „Bonmot“ lässt mich ebenfalls erschauern: „Change Hacks for Leaders“. Was soll das sein? Zauberkunststücke? Abkürzungen auf den beschwerlichen Weg? Ein Wurmloch in eine andere Galaxie?
Immerhin kann Bosch verlauten lassen: „Über 80 Prozent der betroffenen Mitarbeitenden in Deutschland stimmten dem Betriebsübergang zu.“ Da wird man wohl vieles richtig gemacht haben. Und dann ist da noch die Sache mit der Identität. Da gibt es Mitarbeitende, die schon Jahrzehnte für Bosch arbeiteten. Wie gelingt so eine Transmission? Indem man sie zum Thema macht: Mit dem Executive- und mittleren Management wurde in Workshops zunächst die aktuelle Identität beschrieben und sodann eine Wunsch-Identität für die Zeit nach dem Verkauf definiert. Mit dem Slogan „Going Beyond“ sollte ein Gefühl von Sinnhaftigkeit und Stabilität, aber auch Aufbruch und Ambition vermittelt werden.
Und ihr seid jetzt raus …
Das Fazit der Autorinnen: Trennung muss nicht gleichbedeutend mit Verlust oder Krise sein. Aber warum nennt man das Carve-out?
