KRITIK: Gesellschaftliche Spannungen nehmen zu, und damit auch die Konflikte am Arbeitsplatz. Behauptet ein Autor im Harvard Business Manager und legt als Beweis die Ergebnisse von Umfragen vor, nach denen viele Mitarbeitende von Anfeindungen am Arbeitsplatz berichten, und fast die Hälfte erwartet, dass sich die Feindseligkeiten weiter verschärfen werden (Schluss jetzt!).
Die Kritik mal vorweg: Es ist stets die gleiche Masche. Zuerst wird ein Problem geschildert und dramatisiert, indem „Studien“ zitiert werden, nach denen alles noch viel schlimmer kommen wird. Welchen Wert hat eine Aussage wie „44% erwarten dass sich die Feindseligkeiten in 2025 weiter verschärften werden“?
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Anschließend wird geprotzt mit den unfassbar umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen der Autoren. Da ist die Rede von „Umfragen, Labor-, Fall- und Feldstudien“. Normalerweise wird von Tausenden von Daten und jahrzehntelanger Erfahrung fabuliert. Um dann zu den zentralen Erkenntnissen zu gelangen: Dass man vier zentrale Kompetenzen gefunden habe, die Führungskräfte benötigen, um Konflikte erfolgreich zu bewältigen. Und außerdem sieben Prinzipien, die es zu berücksichtigen gebe. Letztere werden dann mit Fallbeispielen aus internationalen Konflikten und Beispielen von Managern aus bekannten Unternehmen unterlegt.
Konflikt-Intelligenzquotient?
Die vier Kompetenzen: (1) Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung (was eigentlich doch schon zwei sind), (2) Konfliktfähigkeit (Wie bitte? Eine Kompetenz zur Konfliktbewältigung lautet „Konfliktfähigkeit“? Ich hoffe mal, das liegt an der Übersetzung), (3) Anpassungsfähigkeit und (4) Systemische Einsicht (der Blick fürs große Ganze). Dann wird noch der Begriff „Konflikt-Intelligenzquotient“ (K-IQ) eingeführt, der mehr enthalten soll als emotionale Intelligenz – geschenkt.
Warum ich nicht längst aufgehört habe zu lesen? Weil einer der Tricks auch bei mir verfängt: Die Anekdoten, die die sieben Prinzipien belegen sollen, wie man bei Konflikten vorgehen sollte, sind unterhaltsam. Mein Problem ist nun, dass ich diese natürlich hier nicht alle wiedergeben kann. Ich beschränke mich auf die Prinzipien – in der Hoffnung, dass das eine oder andere das Zeug hat, das eigene Handeln ein wenig zu leiten. Wobei ich die Überschriften aus dem Original ändere, weil die meisten den Kern irgendwie verfehlen.
Die sieben Prinzipien
- Intensiv vorbereiten. Wer glaubt, Konflikte, die seit Jahren schwelen, durch zügiges Handeln lösen zu können, irrt. Bevor man die Parteien an einen Tisch bringt, gilt es, allen intensiv zuzuhören und die kritischen Punkte anzusprechen.
- Menschen zusammenbringen. Wem es nicht gelingt, die Beteiligten neben den eigentlichen Verhandlungen dazu zu bringen, zu kooperieren, schafft vermutlich keinen langfristigen Frieden. Kleinere Projektteams z.B., in denen Vertreter der Konfliktparteien gemeinsam Ergebnisse kontrollieren oder an Lösungen arbeiten.
- Entschlossen und kreativ zugleich sein. Soll irgendwie heißen, dass man einerseits strenge Prinzipien und starre Regeln braucht, auf die sich alle verlassen können, andererseits aber offen für kreative und ungewohnte Schritte sein muss.
- Anpassungsfähigkeit. Sich je nach Situation unterschiedliche Strategien anwenden. Ein großartiger Tipp. Flexibel reagieren hilft immer.
- Über den Tellerrand hinausblicken. Den Konflikt nicht zu isoliert betrachten, sondern sich klar machen, dass es meist tiefere Ursachen gibt, Dinge, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Also die größeren Zusammenhänge im Blick behalten.
- Langfristiges Denken. Schwierige Konflikte löst man nicht „mit dem Blick auf die Schlagzeilen von morgen“, mitunter muss man in Dekaden denken. Schöner Satz: Verhandlungsprofis in der Politik „pflanzen Bäume, deren Schatten sie selbst nie genießen werden.“ Wobei die Beispiele aus dem Text nicht gerade Mut machen – schaut man auf die gegenwärtige Welt …
- Den Moment nutzen. Das ist ein großartiges Prinzip. Inhaltlich ist hier aber offensichtlich gemeint, dass man Momente schaffen soll. Also z.B. immer man wieder informelle Treffen herbeiführen, Gelegenheiten, in denen es besser gelingt, Gemeinsamkeiten zu finden oder herauszuarbeiten.
Ich vermute mal, dass internationale Konfliktvermittler nicht regelmäßig MWonline lesen. Was bleibt für die „normale“ Führungskraft? Wer bei dem einen oder anderen Prinzip denkt: Sollte ich vielleicht mal drauf achten, hat schon profitiert. Ansonsten empfehle ich eher das Buch von Klaus Eidenschink (Die Kunst des Konflikts).

Alle diese schlauen, akademisch angehauchten Erkenntnisse zu Thematik, übersehen, dass Konfliktlösungen nicht kognitiv gelöst werden können. Konflikte sind nicht befriedigte Emotionen. Wer seine Motive, Werte und Begabungen nicht kennt, wird zu keiner Lösung kommen. Hinzu kommt, dass ein hoher IQ die Konflikte noch verstärken.