INSPIRATION: Da jagt eine Krise die nächste, doch vom Chef kommt keine Botschaft. In einer solchen Situation wünscht man sich dann eben doch eine klare Ansage, aber das ist nicht so die Art introvertierter Führungskräfte. Oder ist deren Schweigen vielleicht doch die bessere Führung?
Das Thema ist hochaktuell, denn nicht nur unsere letzte Kanzlerin glänzte durch Zurückhaltung, sondern auch der aktuelle hält sich lieber im Hintergrund auf. Ob es um die Impfpflicht geht, die Waffenlieferungen an die Ukraine, die Klimakrise – viele warten auf klare Ansagen aus dem Bundeskanzleramt, aber diese bleiben aus. Ein Musterbeispiel für introvertierte Führungskräfte und deshalb der Beweis, dass zumindest in Krisensituationen dann doch der extravertierte, dominante Mensch auf dem Chefposten gefragt ist?
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In der Wirtschaftswoche (Wie still darf ein Anführer sein?) wird die Frage nicht eindeutig beantwortet – weil es eben auch nicht so einfach ist. Eine Studie, die hier zitiert wird, lässt aufhorchen. Adam Grant und Francesca Gino haben in 130 Filialen einer Pizzakette erfragt, wie intro- bzw. extravertiert die Leiter waren und wie häufig Mitarbeiter Verbesserungsvorschläge machten. In Filialen mit viel Mitarbeiterengagement sanken die Profite, wenn der Chef eher extravertiert war. Dort, wo sich Mitarbeiter weniger einbrachten, stiegen die Profite hingegen.
Da wäre nun folgender Schluss erlaubt: Je engagierter die Mitarbeiter, umso mehr darf sich eine Führungskraft zurückhalten. Oder anders formuliert: Möchte man eine starke Beteiligung, ist zu viel Vorgabe von oben eher kontraproduktiv. Keine wirkliche Überraschung, oder?
Und in der Politik?
Schaut man sich nun die handelnden Personen in der großen Politik an, könnte man zu der Ansicht gelangen, dass der Kanzler ein gutes Gespür hat: Die zweite Ebene ist in der Tat sehr aktiv und präsent, offenbar auch nicht gerade erfolglos. Schon klar, je nach politischer Einstellung wird man das ganz anders wahrnehmen. Aber im Ernst: Als alle Welt sich fragte, wo denn das Machtwort des Kanzlers bleibt, dachte ich: „Wieso, die anderen machen doch einen guten Job, warum soll er sich einmischen?“
Tipp eines Politologen aus Harvard: Ab und zu mal Momente der Stille einschieben. Sie können uns „zu durchdachteren, weiseren Entscheidungen führen.„ So zum Beispiel in einem Konflikt: Bei den Quäkern bitten dann die Vorsitzenden alle Anwesenden um eine längere Pause der Stille, ohne konkret nach Lösungen zu suchen. Danach fällt eine Einigung oft viel leichter, weil alle in sich gehen und darüber nachdenken, wie wichtig ihnen eigentlich die eigene Position ist. Das sollte man tatsächlich mal probieren, egal, ob intro- oder extravertiert. Wobei das letzteren Vertretern sicher arg schwer fallen wird.
Dass Zurückhaltung ein Problem darstellt, hat sicher auch viel mit der Außenwirkung zu tun. Ich bin ein großer Fan introvertierter Chefs, die einen moderierenden Führungsstil haben. Wenn es gut läuft, müssen sie nur den nötigen Raum geben, dafür sorgen, dass nicht irgendwelche „Alpha-Tiere“ das Ruder übernehmen. Indem sie die Spielregeln deutlich machen und auf ihre Einhaltung achten. Den Rest macht das engagierte Personal.
Nur: Wie kommuniziert man diesen Stil nach außen – wenn die Öffentlichkeit nach klaren Ansagen lechzt? Kann ein eher moderierender Politiker oder Unternehmenslenker sich hinstellen und sagen: „Was wollt Ihr? Wir haben gute Leute, die machen das schon. Ich sorge intern dafür, dass sie die notwendigen Rahmenbedingungen vorfinden.“ Wird man damit punkten können? Wenn es kritisch wird, rufen eben doch alle wieder nach der „starken Hand“ von oben.
Auf einen Nachteil der Zurückhaltung macht der Beitrag aufmerksam: Introvertierte Manager unterschätzen den Kommunikationsbedarf anderer, weil bei ihnen das Bedürfnis selbst nicht so ausgeprägt ist. Da kann es passieren, dass sich die Mitarbeiter allein gelassen fühlen. Oder eben die Öffentlichkeit. Zweifellos ist das ein Problem. Wobei: Warum kann diese Rolle nicht jemand anderes im Führungsteam übernehmen? Extravertierte Top-Manager werden das niemals zulassen, weil sie selbst gerne im Rampenlicht stehen. Aber dem Introvertierten sollte das doch entgegen kommen. Nur muss er aufpassen, dass unter den Vertretern kein Wettkampf um diese Rolle entsteht. Das ist dann schon hohe Kunst …