30. Juni 2025

Management auf den Punkt gebracht!

Organisationsaufstellungen – verstellt, verguckt, verpeilt?

INSPIRATION: Der Hype um Organisations- oder Systemaufstellungen scheint verflogen zu sein. Auch um das Familienaufstellen scheint es nach dem Tod von Guru Bert Hellinger stiller geworden zu sein. Ich persönlich finde das gut.

Doch bleibt die alte Frage virulent: Ist was – und, wenn ja, was denn – dran? Die Autorinnen haben sich viel Mühe gemacht mit einer wissenschaftlichen Studie (Systemic constellations applied in organisations). Ich gebe zu, die Veröffentlichung ist nicht mehr ganz frisch. Aber erhellend. Und weil wir zum Thema bei MWonline nicht allzu viel Grundsätzliches an Bord haben, ist es meines Erachtens mehr als angebracht, da mal die Lage zu checken.


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Die Studie verspricht einen umfassenden und systematischen „Überblick über die aktuellen empirischen Belege für Systemaufstellungen bei der Anwendung in Organisationen“. Dafür ist man tief in die Datenbankrecherche eingestiegen. Es wurde in mehreren Sprachen gesucht, qualitative sowie quantitative Designs wurden gesichtet und es wurde nicht nur akademische, sondern auch sogenannte „graue Literatur“ eingeschlossen. Da wurde das Feld also großflächig durchpflügt.

Die Spreu und der Weizen

Das Ergebnis war ein Pool von 79 potenziell relevanten Veröffentlichungen. Von diesen waren sieben prospektive und 13 retrospektive Wirksamkeitsstudien in Bezug auf Organisationsziele. Zur besseren Einordnung: Retrospektiv bedeutet, im Nachhinein fällt es in der Regel leicht, es besser zu wissen. Gravierend ist auch, dass nur zwei der sieben prospektiven Studien ein kontrolliertes Design aufwiesen. Das ist, um es gleich zu sagen, an wissenschaftlichen Standards gemessen – recht dürftig.

Ich spare mir an dieser Stelle eine vertiefende Darstellung der Methode und vor allem der Hypothesen zu ihrer Wirkung (Kartenset für Aufstellungsarbeit). Es beginnt mit dem Argument „Visualisierung“, geht dann weiter über „Soziogramm“, um sich dann irgendwann im Esoterischen (morphogenetische Felder) zu verlieren. Und sogleich fallen mir einige selbsterlebte Beispiele ein, übrigens im Rahmen einer Tagung eines Aufstellerverbands, die dafür sorgten, dass sich meine Nackenhaare sträubten, heftiges Kopfschütteln mich erfasste oder ich mich nur noch mit sarkastischen Kommentaren à la „Küchenpsychologie“ zu wehren wusste. – Aber Forscher müssen ja neugierig und geduldig bleiben. Auch wenn man dafür einen Samstag bei schönsten Wetter opfern muss.

Was sagt die Forschung?

Die Forschergruppe legt ihre Suchstrategie explizit offen. Die Kriterien der Literaturauswahl und die Art der Datenextraktion werden genau beschrieben. Die Literaturdatenbankrecherche ergibt 838 Publikationen, von denen bloß 30 aufgrund ihres Titels und ihrer Zusammenfassung als potenziell relevant eingestuft werden. Was für ein gewaltiger Dropout … Es wird noch ein zweiter Suchvorgang gestartet. Zuletzt hat man einen Pool an 79 Publikationen, von denen sich nur 44 tatsächlich mit der Aufstellungsmethode befassen und die auch im Volltext verfügbar sind.

Von diesen 44 Publikationen (zwischen 2000 und 2019 veröffentlicht) sind 30 empirische Studien. Und von diesen wiederum untersuchen bloß sieben die wahrgenommene Wirksamkeit der Aufstellungsmethode in Bezug auf organisatorische Ergebnisse prospektiv. Die anderen 23 empirischen Studien bewerteten die Wirksamkeit gar nicht.

Schmale Ausbeute

Es zeigt sich, dass die meisten Veröffentlichungen in deutscher Sprache verfasst und in Büchern erschienen sind. Für die breitere wissenschaftliche Öffentlichkeit sind sie nur bedingt zugänglich. Oft sind die Veröffentlichungen auch nur beschreibender Natur.

Auch der engere Kreis der sieben Studien zeichnet sich durch große Heterogenität aus. Nur eine einzige hochwertige Studie wies eine passende Kontrollgruppe auf. Sie umfasste Mitarbeitende aus verschiedenen Organisationen, die an einem eintägigen Workshop mit mehreren Aufstellungssitzungen teilnahmen. Die Teilnehmenden füllten vor dem Workshop sowie zwei Wochen und vier Monate nach dem Workshop einen Fragebogen aus. Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmer nach dem Workshop im Vergleich zur Kontrollgruppe eine signifikante, stabile Verbesserung ihres selbst eingeschätzten psychischen Zustands aufweisen. Sie nehmen auch die Qualität des Organisationsklimas positiver wahr, insbesondere in Bezug auf Kollegialität und wahrgenommene Handlungsmöglichkeiten. – Das sind nette, aber beileibe keine umwerfenden Ergebnisse.

Resümee

Die Forscher resümieren, man sähe zwar Anzeichen für eine potenziell wirksame Methode in Bezug auf organisatorische Ergebnisse. Es sei allerdings noch viel zu früh, um eindeutige Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit der Methode zu ziehen. Und das liege schlicht daran, dass die Qualität der Studien insgesamt zu gering sei. Die beobachteten Effekte könnte man sich auch anderweitig erklären.

Das heißt, auch wenn die Anwendung der Methode in der Praxis beliebt und weit verbreitet sein mag, es fehlt nach wie vor weitgehend an einer wissenschaftlichen Perspektive zu den Auswirkungen auf Team- oder Organisationsergebnisse. Wenn Berater, Coaches oder die Teilnehmenden, die die Methode anwenden, sicher sein wollen, dass sie einen qualitativ hochwertigen und nützlichen Beitrag leisten, um neue Erkenntnisse oder sogar Problemlösungen zu erhalten, muss man ihnen sagen: Ihr fischt (leider!) weitgehend im Trüben.

Das Interessante daran ist, dass das, was Torsten Groth vor 20 Jahren schon zum Thema in dieser Zeitschrift, die damals noch anders hieß, Kritisches veröffentlichte, oder Gunthard Weber, Gunther Schmidt und Fritz B. Simon in ihrem Buch Aufstellungsarbeit revisited … nach Hellinger?, auch 20 Jahre später – und in der Zwischenzeit hätte ja einiges an guter Forschung stattfinden können – noch Geltung hat. Vielleicht ist es also gar nicht so schlecht, dass die Aufstellungsmethode aus der Mode gekommen ist …

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Thomas Webers

Dipl.-Psych., Dipl.-Theol., Fachpsychologe ABO-Psychologie (DGPs/BDP), Lehrbeauftragter der Hochschule Fresenius (Köln), Business-Coach, Publizist

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