KRITIK: Wie viel Kontrolle ist sinnvoll? Die Frage scheint sich heute gar nicht mehr zu stellen, denn moderne Software ermöglicht es, die einzelnen Arbeitsschritte der Mitarbeiter genau zu erfassen – das läuft unter Schlagwort „People Analytics“. Aber dürfen Unternehmen das? In Deutschland eher nicht. Aber wer hält sich daran?
Die Beispiele in dem Beitrag der Wirtschaftswoche (Big Brother Büro) zeigen, was heute schon möglich ist. In England versieht Tesco die Mitarbeiter mit Datenarmbändern, um ihre Wege zu kontrollieren. Gegen Amazon läuft ein Verfahren, weil in einem Logistikzentrum des Online-Riesen die einzelnen Arbeitschritte genau aufgezeichnet wurden. Die Talentmanagement-Firma Crossover fotografiert ihre Mitarbeiter im 10-Minuten-Rhythmus. Eine Software von Teramind erfasst, wie oft Mitarbeiter zwischen Programmen hin und her wechseln (die würde bei mir heißlaufen!). Und eine Firma namens Soma Analytics entwickelt Apps, die das Stress-Niveau von Mitarbeitern erfasst. Dass man die Tastaturanschläge speichern und E-Mails auslesen kann, ist ja längst kein Geheimnis mehr.
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Neben diesen speziellen Tools gibt es Personalplanungs- und -einsatz-Programme, die alle möglichen Daten zusammenführen: Wer woran arbeitet, wie lange er mit den Aufgaben beschäftigt ist, wie oft er frei nimmt usw. Das mögen die Personaler, weil sie nun endlich pro Mitarbeiter genau erkennen können, wo welche Kosten anfallen und wie effizient jemand arbeitet.
Fluch oder Segen? In Deutschland scheint die Sache dank Datenschutzbestimmungen eigentlich klar: Die meisten dieser Aufzeichnungen sind nicht erlaubt. Selbst wenn die Mitarbeiter entsprechende Vereinbarungen unterschreiben, sind die Verträge ungültig, weil die Mitarbeiter abhängig vom Arbeitgeber sind. Die Experten in dem Beitrag vermuten allerdings, dass die Programme dennoch weit verbreitet sind und das von niemandem kontrolliert wird. Das Problem ist nämlich: Diese Programme sind schon enorm mächtig, und um die verbotenen Datensammlungen zu verhindern, müssen Funktionen abgestellt werden. Ungefähr so, als verkauft ein Unternehmen Fahrräder mit Elektromotor, die 70 Stundenkilometer erreichen können und man muss diese Leistung drosseln, um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
Vielleicht aber stört das ja auch niemanden mehr. Wie bereitwillig Menschen akzeptieren, was alles ihr eigenes Smartphone über sie an den Hersteller sendet. Oder wie selbstverständlich sie Informationen über ihren Alltag, ihre Beziehungen, ihre Befindlichkeiten ins Netz stellen. Nehmen wir es inzwischen gelassen (oder resigniert?) hin, dass unser Leben digital nachgebaut wird? Viele offenbar tatsächlich.
Aber wenn der eigene Arbeitgeber der Datensammler ist, dann sieht die Sache schon anders aus. Die Vertreter des „People Analytics“ argumentieren natürlich mit den Chancen. Wenn mein Chef auf dem Bildschirm erkennen kann, dass ich grade arg gestresst bin und mir Unterstützung anbietet – was soll dagegen sprechen? Wenn Google ermittelt hat, dass viele Kräfte nach dreieinhalb Jahren kündigen und deshalb nach drei Jahren ein Karrieregespräch führt – ist das nicht schön? Wenn der Kollege, der am Arbeitsplatz Netflix-Serien schaut, von der Spionagesoftware erwischt wird – geschieht ihm das doch recht, oder?
Ethisch handelnde und denkende Unternehmenslenker bzw. Personaler, die einen Nutzen in solchen Programmen sehen, könnten ja wie folgt handeln: Sie klären die Mitarbeiter auf, welche Software sie einsetzen bzw. einsetzen wollen und ermöglichen es jedem einzelnen, die Funktionen abzuschalten, die ihm nicht passen. Realistisch?
Die Alternative: Man verzichtet von vornherein darauf. Was für eine Errungenschaft ist es denn, wenn man weiß, dass der Wechselzeitpunkt etwa bei drei Jahren liegt (wobei das ja noch keine wirkliche „Bespitzelung“ ist). Man könnten doch ohnehin mit jedem Mitarbeiter regelmäßig über seine Entwicklungswünsche reden.
Ähnliches beim „Messen“ von Stress. Würde man sich einfach mit Mitarbeitern unterhalten, erführe man auch, wie es ihm geht. Vermutlich aber glauben wir inzwischen Fitness-Armbändern mehr als der Aussage von Menschen. Und was die Überwachung von Mails, Arbeitsgängen, Surfverhalten u.ä. angeht: Wer seinen Mitarbeitern so wenig traut, der hat mit Sicherheit ganz andere Probleme. Und jede Wette: Es gibt schon Mittel und Wege, die Kontrollfunktionen zu überlisten. Wie viel Energie auf beiden Seiten dafür verschwendet wird – gruselig…