KRITIK: Die Personalauswahl der Zukunft könnte so leicht werden – zumindest, wenn man den Anbietern der verschiedenen Tools glauben möchte. Sprach- und Videoanalyse, Chatbots und automatische Stellenanalysen sind die aktuellen Schlagworte.
Die großen rosaroten Hoffnungen der Personaler: In Sachen Personalauswahl wird alles einfacher, vorurteilsfreier und vor allem schneller – und damit günstiger. Gegen kürzere Prozesse wird niemand Einwände haben, oder? Wenn Unterlagen wochenlang im Unternehmen hin- und hergereicht werden und Kandidaten ewig auf eine Antwort warten, dann kann das niemanden zufrieden machen. Aber es geht bei den neuen Aussichten nicht nur um eine Verbesserung der Abläufe. Es geht auch darum, die Auswahl selbst zu beschleunigen. Dank künstlicher Intelligenz.
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Wenn, wie in diesem Beitrag berichtet (Bewerbung KInderleicht), ein Telefonat mit einer Maschine, die Sätze und Worte analysiert bzw. auszählt, nur 15 Minuten dauert und ein halbtägiges Assessment Center ersetzt – welches Instrument würden Sie dann wählen? Bei der Versicherung Talanx wird die Software bei den drei oberen Führungsebenen eingesetzt, weil die potenziellen Kandidaten gar nicht die Zeit haben, sich einen ganzen Tag um die Ohren zu schlagen, um dann schließlich doch abgelehnt zu werden.
Da staunen wir schon, oder? 15 Minuten Sprachprobe und das AC ist überflüssig. Bei Hilton und Unilever sollen Kandidaten per Video befragt und deren Mimik per Software auf Botschaften für ihre Eignung ausgewertet werden. Da fehlt nur noch die Genprobe, dann kann man sich vielleicht den ganzen Aufwand mit den Telefonaten auch noch sparen.
Ironie beiseite: Es ist der alte Traum, der stets der gleiche bleibt. Irgendein Messinstrument, sei es ein Test oder nun eine Software, erfasst Merkmale von Menschen und schließt auf ihre Eigenschaften und Fähigkeiten, was wiederum denjenigen, der eine Auswahlentscheidung trifft, massiv entlastet, ja sie ihm vielleicht sogar ganz abnimmt.
Ein Argument dafür ist auch, dass Algorithmen keine Vorurteile haben, also niemanden aufgrund bestimmter Merkmale diskriminieren. Man weiß zwar, dass das nicht stimmt, denn das hängt ja davon ab, wie man sie programmiert hat. Aber, so die Hoffnung, man kann Maschinen auch so programmieren, dass sie lernen, ihre eigenen Vorurteile auszumerzen, was bei Menschen nicht funktioniert. Vorausgesetzt, die Theorie hinter den Programmen stimmt – und da habe ich meine Zweifel.
Was hat es mit Chatbots auf sich? Das sind Programme, die mit den Kandidaten kommunizieren, also ihre Fragen beantworten und Termine machen. Hoffentlich besser als die Hotlines, mit denen ich oft zu tun habe.
Und schließlich die Stellenausschreibungen: Die Software Textio analysiert Stellenanzeigen und macht Vorschläge für bessere Formulierungen je nach Zielgruppe. Die Anbieter versprechen, dass damit die Zahl der Bewerber steigt. Ein Beispiel: Der englische Einzelhändler Coop verzichtet jetzt auf Firmenjargon in seinen Anzeigen und hat ein Drittel mehr Bewerber. Seltsam, das hätten kluge Personaler vielleicht schon vorher sagen können, aber auf Maschinen hört man offenbar eher.
Mein Fazit: Vermutlich wird das eine oder andere wirklich schneller und einfacher, und sicher kann noch etliches auch beim Rekrutieren automatisiert werden. Ich würde allerdings weiterhin nur Leute einstellen, die ich eine Weile persönlich erleben durfte, und das kostet nun mal Zeit. Sogar mehr als einen halben Tag AC. Wer die Zeit nicht aufbringt und deshalb nicht zu einem Unternehmen wechseln möchte, sondern lieber per Sprachanalyse ausgewählt wird, den würde ich gar nicht einstellen wollen.