5. Oktober 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Von Gaunern und Gangstern

REZENSION: Rolf Stiefel: Führungskräfte-Entwicklung. Worüber man in der Praxis ungern spricht: Ein Insider berichtet. EHP Edition Humanistische Psychologie 2018

Der Untertitel „Ein Insider berichtet“ ist Programm: Rolf Stiefel möchte Praktiken der Führungskräfteentwicklung (FKE) anprangern und hat die Verantwortlichen ausgemacht. Inhaltlich an vielen Stellen mehr als nachvollziehbar. Ob die Art und Weise, wie er die „Gaunereien“ brandmarkt, wirklich hilfreich ist, wage ich zu bezweifeln.


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Ich habe keine Ahnung, wie viele Unternehmen überhaupt eine systematische FKE betreiben, oder besser: Versuchen, sie zu betreiben. Indem sie eigene Abteilungen unterhalten, die dazu da sind, Führungstalente zu entdecken und fit zu machen, um sie auf die Mitarbeiter loszulassen. Mehr noch: Inhaber von Führungspositionen zu analysieren, ihre Schwächen aufzuspüren und sie auszumerzen.

Ob all das überhaupt sinnvoll ist und man nicht vielleicht das ganze Prinzip hierarchischer Führung überdenken sollte, wird in dem Buch nicht thematisiert. Stattdessen werden zügig die Kunstfehler und Mythen aufgezeigt und dann die Akteure auf dem Spielfeld der FKE“entlarvt“. Das beginnt bei der Geschäftsführung, die irgendwo eine neue Methode oder ein angesagtes Thema aufschnappt und dann unreflektiert und bar jeder Fachkenntnis ihre Führungskräfteentwickler (FKEler) auffordert, ähnliches im Unternehmen einzuführen, um als modern und aufgeklärt dazustehen.

Die FKEler lassen sich in zwei Gruppen teilen – und beide sind gleichermaßen „schuldig“: Da ist zum einen die „FKE-Leiche“, alt-gediente Haudegen, die früher mal Psychologie studiert haben und ihr Leben lang in der FKE-Abteilung hocken. Sie werden von oben in Ruhe gelassen, mauscheln mit den externen Anbietern vor sich hin und richten jede Menge Schaden an, für den niemand verantwortlich gemacht wird.

Zum anderen sind da die jungen Hochschulabsolventen, meistens weiblich, die für die FKE rekrutiert werden und ohne jede Praxis- und Lebenserfahrung ihr rudimentäres Psychologie-Wissen in Instrumente umwandeln. Was zum einen dem ohnehin nicht sonderlich großen Ansehen der FKE erheblich schadet, zum anderen dazu führt, dass der Irrsinn der Diagnostik weiter Blüten treibt. Wie soll so eine junge FKLerin auch in der Lage sein, Strukturen und Systeme in Frage zu stellen und zu verändern? Also stürzt man sich fleißig auf Assessment Center und Management-Audits, zur großen Freude der Berater, die prächtig daran verdienen.

Womit die Akteure an den Pranger gestellt werden, die Stiefel besonders „gefressen“ hat: Die Trainer und Berater. Dort gibt es – neben den wenigen Seriösen – Gauner, Ganoven und Gangster, letzteren unterstellt er kriminelle Energie und „betrügerische Machenschaften“. Alle versuchen, sich ein Stück vom Kuchen der FKE zu sichern, und dazu ist ihnen fast jedes Mittel recht. „Management-Gassenauer“ werden immer wieder reaktiviert und unter neuem Namen verkauft, mit sogenannten „Studien“ wird Fachkompetenz vorgegaukelt, mit gekauften Büchern (die man gegenseitig rezensiert) Eindruck geschunden, mit Professoren-Titel aufgewartet, mit „Institut“ und „Akademie“ im Namen und vielen Niederlassungen geschwindelt, was das Zeug hält.

Und schließlich die Fachjournalisten. Dankbar für jeden neuen Begriff, immer auf der Suchen nach Meldungen, mit denen all die Publikationen und Journale gefüllt werden müssen, berichten sie über alles, was man ihnen unter die Nase hält.

Und alle profitieren von dem Spiel: Das Management hat das Gefühl, etwas für die Führungskultur zu tun, ohne selbst aktiv werden zu müssen. Der FKLer, der neben seiner geruhsamen Tätigkeit auch noch auf Konferenzen auftritt, mit seinen Erfahrungen prahlt und zum Teil auch noch Honorar dafür bezieht. Die Trainingsgauner und -ganoven und die Journalisten, die ihren Lebensunterhalt damit bestreiten. Nur die Führungskräfte, für die all das doch angeblich gemacht wird, sind am Ende die Dummen – wenn sie nicht sogar massiv unter den „Nebenwirkungen“ zu leiden haben.

Wie gesagt, da ist viel Wahres dran, sehr viel sogar. Das Buch zu lesen allerdings ist eine Qual. Was sollen alle die Bulletpoints, die wirken, als habe jemand mehrere Präsentationsfolien hintereinander gehängt, ohne darauf zu achten, dass das vorige Kapitel die gleichen Inhalte vermittelt. Ich hatte ständig das Gefühl, all das schon vorher gelesen zu haben. Die praktischen Beispiele, die als „Schnappschüsse“ präsentiert werden, klingen seltsam blaß, konkrete Trainer und Unternehmen werden so darstellt, dass man ahnt, um wen es geht, aber nicht mit Namen genannt. Wie eben ein ehemaliger Insider, der verbittert ist über all den Unsinn, der im Namen der FKE angestellt wird und mal ordentlich austeilen will.

Zur Ehrenrettung: Am Ende werden einige Hinweise gegeben, wie sich Unternehmen vor diesem Sumpf an Tricksereien und Betrügereien schützen können. Ein externer Berater-Berater zum Beispiel. Klare Regeln und Kriterien für FKE-Maßnahmen, ein hochrangig besetzter Steuerungskreis, regelmäßige Audits der FKE-Maßnahmen mit neutralen externen Fachleuten, begrenzte Verweildauer des FKLers usw. Das klingt ziemlich altmodisch, nämlich nach umfangreicher Kontrolle. Ich wäre eher dafür, das überkommene Prinzip der Führungskräfteentwicklung in Frage zu stellen. Aber dann hätten all die Akteure ja gar keine Arbeit mehr. Und wir Autoren nichts zu schreiben.

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