KRITIK: Niemand muss mehr durch ein Assessment Center. Oder lange Persönlichkeitsfragebögen ausfüllen. Stattdessen muss der Kandidat nur noch am Telefon ein paar Fragen beantworten. Künstliche Intelligenz ermittelt seinen Entwicklungsbedarf, dann wird fleißig trainiert.
Sie stutzen? Aber es wäre doch wunderbar, wenn’s klappt, oder? Wozu noch die ganze aufwendige Managementdiagnostik, wenn man die Kandidaten einfach am Telefon 42 Fragen beantworten lassen kann und eine Software anhand der Sprachanalyse Wortlänge, Satzbau, Verneinungen, und Passiv-Formulierungen zählt und daraus ableitet, wie es um unsere Teamfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Veränderungsbereitschaft etc. bestellt ist.
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Ich stelle mir das so vor: Je öfter man „wir“ statt „man“ sagt, desto größer die Teamfähigkeit. Wer schummeln will und einen Text vorliest, den enttarnt die Software namens Precire. Die natürlich noch mehr kann, nämlich Emotionen und Unbewusstes erfassen über Stimmlage, Geschwindigkeit der Reaktion und der Sprache. Wenn der Kandidat 2.000 Worte abgeliefert hat, ermittelt das Programm den „sprachlichen Fingerabdruck“ – selbstverständlich alles wissenschaftlich abgesichert. Und vor allem: Niemand kann nachvollziehen, wie das Urteil des Computers genau zustande gekommen ist…
Und was kommt dabei heraus? 18 Leadership-Eigenschaften, u.a. Belastbarkeit oder Neugier oder Kontaktfreude. Aha, Führungseigenschaften…
Anschließend weiß also der Personalentwickler, woran es dem Kandidaten fehlt. Dann wird trainiert, und zwar mit 500 Übungshappen. Microlearning heißt das, 15 Minuten täglich derartige Bildungshappen auf dem Smartphone oder Tablet anschauen bzw. bearbeiten bringt mehr als ein dreitägiges Seminar.
Das stelle ich mir also so vor: „Ihre Sprachanalyse hat ergeben, dass es Ihnen ein wenig an Durchsetzungskraft mangelt. Hier sind 15 Übungen zur Stärkung ihrer Durchsetzungsfähigkeit. Auf geht’s!“ Irgendwann eine neue Sprachanalyse und das Defizit ist behoben…
So sieht also das Führungskräftetraining der Zukunft aus. Ähnliches gibt es laut Handelsblatt („Managementtraining reloaded„) auch bei der Telekom. Da stehen 250 „Nuggets“ zur Verfügung – kurze Zeichentrickfilme, die offenbar auch bei Führungskräften ankommen.
Was ist von all dem zu halten? Zum einen: Experimente mit neuen Weiterbildungsformaten finde ich gut. Persönlichkeitsanalysen per Sprachanalyse klingen mir zu „schön um wahr zu sein“. Dass unsere Sprache uns von anderen unterscheidet, glaube ich gerne. Dass dominante Menschen sich anders ausdrücken als eher vorsichtige, stimmt sicher auch. Aber wie bei allen Merkmalen wird unter allen Dominanten auch jemand sein, der eher ausschweifend und unsicher spricht und unter den Vorsichtigen eine Minderheit, die alles andere als eine vorsichtige Ausdrucksweise an den Tag legt. Daher können solche Programme wie auch alle klassischen Tests lediglich Hinweise liefern, aber sicher keine „Persönlichkeitsanalyse“. Ein vermutlich teures Spielzeug für Personalentwickler.
Das mit den Lernhäppchen dürfte funktionieren. Hin und wieder mal ein kleines Filmchen schauen und sich daran erinnern, wie das mit dem aktiven Zuhören funktioniert, ehe man es praktiziert – wer sollte dagegen etwas haben?
Es mit dem täglichen Training eines Profifußballers zu vergleichen – der Vergleich hinkt gewaltig. Ein professionelles Training ist weder das Betrachten von Videos noch das Besuchen eines Seminars. Es bedeutet wirklich tägliches Üben. So gerne die Personalentwickler das ihren „Schäfchen“ auch auf’s Auge drücken würden – das wird so schnell nicht gelingen.