INSPIRATION: Stellen Sie sich vor, Sie telefonieren. Während des Telefonats schauen Sie auf Ihren Bildschirm, und dort leuchten in grünen und roten Farben Begriffe auf, die Sie verwendet haben. Oder ganze Formulierungen werden eingeblendet, wie z.B. „Wie kann ich Ihnen helfen?“Nach dem Gespräch bekommen Sie eine Liste angezeigt, der Sie entnehmen können, welche angemessen waren (grün) und welche nicht (rot). Genau das gibt es für Call-Center-Agenten: Software, die Worte erkennt, die verwendeten zählt und sofort zurückmeldet (Die Stimme der anderen).
Gruselig, war mein erster Gedanke, auch wenn die befragten Agenten äußern, dass diese Rückmeldungen ihnen helfen, sich zu verbessern. Hat etwas von Dressur, dachte ich. Jedes „ähm“ wird gnadenlos angezeigt, das Wort „Problem“ leuchtet rot auf, weil der Kunde erst gar nicht daran erinnert werden soll, dass er ein Problem hat. Konjunktive sind auch tabu, sie klingen zu schwammig. Wenn alle Mitarbeiter ihre Antworten perfektioniert haben, werden sie irgendwann alle gleich klingen. Und vermutlich endgültig von Sprachrobotern ersetzt werden.
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Auf dem Weg zur Chatbot-Lösung
Letzteres klappt tatsächlich noch nicht so gut. Sobald die Anfragen komplex werden, scheitern sie, die Anliegen werden an „echte“ Menschen weitergegeben. Noch. Und diese werden extrem schlecht bezahlt – laut einer Studie mit einem Bruttogehalt von 1.770 Euro im Monat.
Beim zweiten Nachdenken kamen mir Zweifel. Jedes Training in Sachen Kommunikation oder Rhetorik ist doch eigentlich nichts anderes. Wir erklären Menschen, wie sie am besten wirken, korrigieren die Verwendung bestimmter Begriffe, Tonlage und Ausdruck. Wobei die Erfahrung offenbar zeigt, dass die Call-Center-Agenten der Software mehr vertrauen als realen Coachs. Ihr glauben sie, wenn auf dem Bildschirm angezeigt wird, dass sie vier Mal „ähm“ gesagt haben.
Und in anderen Bereichen nutzen wir dem elektronischen Feedback-Geber doch auch. Eine Videokamera zeichnet Bewegungen beim Sport auf. Wir erkennen deutlich unsere Fehler und versuchen sie zu korrigieren. Das wirkt auch wesentlich objektiver als wenn der Trainer behauptet, wir hätten nicht weit genug ausgeholt.
Also eine gute Idee?
Wenn es hilft, weniger Füllworte zu verwenden – warum nicht? Aber man träumt von mehr. Die Software soll auch Stimmungen erkennen und dann die Mitarbeiter auffordern, freundlicher zu antworten, langsamer zu sprechen oder einfühlsamer zu reagieren. Da wird das „Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine“ dann vermutlich doch schwierig. Mehr als acht Begriffe, so die Erfahrung, überfordern die Mitarbeiter.
Ich stelle mir das ohnehin stressig vor, wenn ich mich auf die Fragen konzentrieren muss und gleichzeitig leuchten rote und grüne Wörter auf. Vor allem, wenn nur die Kunden durchgestellt werden, die tatsächlich ein komplexes Problem haben. So wie ich zuletzt mit einem Mobilfunkanbieter. Wie oft ich zum angeblich zuständigen Mitarbeiter durchgestellt wurde, habe ich irgendwann nicht mehr gezählt. Und als der fünfte oder sechste mich fragte, was er für mich tun kann, habe ich nur noch entnervt geantwortet, er möge das lesen, was seine Kollegen über mein Problem schon notiert hatten und es dann endlich lösen. Statt ihre Call-Center-Agenten zu trainieren, vernünftig mit aufgebrachten Kunden zu telefonieren, sollten man vielleicht mehr Energie auf vernünftige Produkte und Prozesse verwenden.
Aber das ist am Thema vorbei. Zurück zum elektronischen Feedback, das vermutlich wirklich hilfreich sein kann. Man könnte, wie im Sport, die Nutzung freiwillig machen. Wenn niemand gezwungen wird, solche Hilfsmittel zu verwenden, hätte ich tatsächlich kein Problem damit. Allerdings wird hier ein klarer Zweck verfolgt: Wer sich wie gewünscht ausdrückt, Füllworte vermeidet und schnell zum Punkt kommt, schafft mehr Gespräche in der vorgegebenen Zeit, denn die Länge von Gesprächen zu messen geht auch ohne künstliche Intelligenz. So wird aus Feedback ganz schnell Überwachung – oder man stellt Rankings auf, bei denen die Mitarbeiter mit den perfekten Antworten in der Rangliste klettern. Das wird dann vermutlich unter „Gamification“ laufen. Also doch gruselig …