INSPIRATION: Ein bekannter Management-Vordenker ist der Meinung, dass börsennotierte Gesellschaften überholt sind. An ihre Stelle sollten Long Term Enterprises treten – Unternehmen, die den eigentlichen Aktionären gehören. Und das sind die Mitarbeiter und alle, die in ihre Altersvorsorge investieren. Genau deren Interessen haben aber viele große Investoren kaum im Blick (Das Ende der AG).
Dazu muss man wissen, dass in den USA viele Menschen ihre Altersvorsorge den großen Pensionfonds anvertrauen. Diese stecken deren Geld sinnvollerweise in langfristige Anlagen. Aber um die benötigte Rendite zu erwirtschaften, müssen sie auch in Aktien investieren. Und hier ist laut Roger Martin eine ungesunde Entwicklung im Gang: Die Zahl der börsennotierten Unternehmen geht zurück. Und gleichzeitig steigt die Zahl derer, die von einzelnen Anteilseignern oder einer Gruppe beherrscht wird, an.
Unterschiedliche Interessen
Diese Gruppen haben nicht unbedingt ein Interesse an einer langfristigen Investition. „Corporate Raiders“ suchen Unternehmen, die unterbewertet sind, bringen sie unter ihre Kontrolle, zerschlagen sie und verkaufen sie mit entsprechenden Gewinnen. Manager wiederum werden für kurzfristige Erfolge belohnt, werden mit Aktienoptionen gelockt, die sie beim Anstieg des Kurses mit Gewinn verkaufen. Alles Dinge, die nicht im Interesse der Pensionäre und der Mitarbeiter sind. „Das Modell lässt Mitarbeiter im Interesse von Eigentümern, die keiner kennt, unter Managern schuften, deren persönlicher finanzieller Erfolg vom Aktienkurs abhängt.“
Eine Alternative: Das Private Equity Modell. Der Sektor hat stark zugenommen. Aber solche Investoren haben sicher auch nicht das Wohl der Mitarbeiter und Pensionäre im Sinn. Sie stecken ihr Geld in Unternehmen mit dem Ziel, sie nach fünf bis sieben Jahren an die Börse zu bringen oder an börsennotierte Unternehmen zu verkaufen. Ein höchst aufschlussreiches Beispiel ist Dell. Das Unternehmen wurde von der Börse genommen, erwarb mit Hilfe von Investoren andere Unternehmen und wurde größer und teurer wieder an die Börse gebracht. Die Wertsteigerung von 45 Milliarden Dollar ging an die privaten Investoren, 28 Milliarden sollen beim Gründer Michael Dell geblieben sein. Die Pensionsfonds, die bei einem Wert von 25 Milliarden ausbezahlt wurden, konnten beim Wert von 70 Milliarden wieder einsteigen.
Die wirkliche Alternative
Long Term Enterprises: Unternehmen, die von einem oder mehreren Pensionsfonds gekauft und von der Börse genommen werden, zusammen mit den Mitarbeitern in Form von Employee Stock Ownership Plans (ESOP). Beispiele hierfür werden in dem Beitrag angeführt, man findet sie vor allem in der Immobilienbranche. Die Konsequenz: Es gibt keine Aktienkurse mehr, niemand hätte mehr ein Interesse an kurzfristigen Steigerungen, sondern vor allem an stabiler, langfristiger Rendite. Was ich gar nicht wusste: Warren Buffet, die Investorenlegende, investiert mehr Geld in nicht börsennotierte Unternehmen, z.B. in die größte amerikanische Eisenbahngesellschaft mit dem Ziel, es „abseits der Börse zu führen – und zwar für immer.“
So wissen die Mitarbeiter, für wen sie arbeiten und können darauf vertrauen, dass ihre Renten sicherer sind. Dass solche Unternehmen nicht groß in Mode kommen, liegt auch daran, dass nur wenige Fachleute (Banker, Anwälte, Buchhalter) auf diese Form spezialisiert sind. Kein Wunder, verdient man doch an einem Börsengang deutlich mehr Geld – zumindest ein kleiner Teil der „Berater“.
Die Börse als Buhmann?
Fairerweise hier der Hinweis auf einen zweiten Beitrag im Harvard Business Manager. Ein Professor für Wirtschaftswissenschaften (Lucian Bebchuk) erklärt, dass, wenn das mit dem kurzfristigen Interesse stimmen würde, langfristig agierende Unternehmen an der Börse geringer bewertet werden müssten. Aber das sei nicht der Fall, was für ein langfristiges Investment in AGs spricht. Problem seien nicht die Hedgefonds und Analysten, sondern die Belohnungssysteme in den Unternehmen. Man müsste die kurzfristigen Anreize für Manager ebenso abschaffen wie die Möglichkeit für selbige, ihre Aktien abzustoßen (Die Börse ist zu Unrecht der Buhmann). Klar, dass mich das nicht so wirklich überzeugt. Wenn ein System wie der Kapitalmarkt dazu führt, dass Menschen sich mit gewissem Geschick bereichern können, und dies dann versucht wird, durch Regeln (andere Entgeltsysteme) zu verhindern, statt am System etwas zu ändern, wird das nur bedingt helfen. Besser ist es immer, am System anzusetzen.
Interessant an dem Thema finde ich, dass überhaupt im Mutterland der Kapitalmärkte eine Debatte darüber geführt wird, wem Unternehmen eigentlich gehören sollten. Und dass die Idee, Unternehmen nicht als „Handelsware“ zu verstehen, sondern sie denjenigen gehören sollten, die am Erhalt interessiert sind, prominente Vertreter gewinnt. Erinnert mich an den Vorschlag zur GmbH mit Verantwortungseigentum in Deutschland.