REZENSION: Judith Muster / Andreas Hermwille / Jens Kapitzky – Lehren von Luhmann: Angewandte Systemtheorie: Pragmatische Lösungsansätze für Organisationen. managerSeminare 2023.
Was würde Luhmann über dieses Buch sagen? Die Antwort ist spekulativ, wie so vieles in diesem Buch, welches den Anspruch erhebt, Luhmanns Meinung zu spiegeln. Das könnte als Kritik verstanden werden. Ist es aber nicht. Es liest sich – im Gegensatz zur reinen Luhmannschen Lehre – außerordentlich leicht, schnell, inspirierend und zugänglich. Zugleich greifen die AutorInnen seine Thesen klug auf und übersetzen sie in heutige organisationale Herausforderungen.
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Um was geht es genau? Die AutorInnen haben in 14 Kapiteln zu verschiedenen Problemen in Organisationen Beschreibungen geliefert. Diese mit Luhmanns Thesen verknüpft und mögliche Antworten abgeleitet. Dabei blicken wir mit Luhmann unter und hinter das Offensichtliche der Dinge.
Die Kapitel heißen beispielsweise: Führung von unten geht immer – Verantwortung ungleich Verantwortlichkeit – Radikales Feedback ist riskant – Dumme Ideen sind oft unaufhaltsam – Transformation erfordert Vergessen – Ausblick: Mensch bleiben in der Organisation …
Alle Kapitel folgen dem gleichen Schema: Es wird zuerst eine Frage, ein Grundkonflikt, ein scheinbarer Widerspruch in Organisationen angerissen. Dieser wird dann von unterschiedlichen Seiten beleuchtet. Sei es aus der vermeintlichen Sicht einer Führungskraft, eines Mitarbeitenden, einer Beratungsgesellschaft oder aus der angenommenen Sicht von Luhmann selbst. Widersprüche, Dilemmata und Mehrdeutigkeiten werden nahezu provokativ herausgearbeitet. Die üblichen Antworten erleben eine Demaskierung und können häufig der gründlicheren Aufdeckung verborgener Dynamiken nicht ausreichend standhalten.
Am Ende gibt es dann stets Lösungsvorschläge von Luhmann bzw. was die Autorinnen aus seinen Schriften zusammenbringen und dafür halten. Dabei gibt es eben oft, wie es die Systemik an sich hat, keine abschließende „Erlösung“ aus Ambivalenzen, sondern eher einen ernüchternde und zugleich erhellenden Blick auf die rationalen und irrationalen Dynamiken und Verhaltensweisen in Unternehmen.
„Zu entdecken, wofür das Verhalten eine Lösung darstellt, ist die erste Aufgabe einer Organisationsgestaltung. Die funktionale Analyse Luhmanns stellt diese Frage: ‚Wenn das die Lösung ist, wo ist dann das Problem?’“ (S. 117)
Mein Fazit: Systemtheorie ist ein Modell der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit und was darin wirkt, ist viel mehr. Doch liefert sie einen anregende Blick auf das, was unter der Oberfläche womöglich schlummert. Mit diesem gut lesbaren und eher pragmatisch angelegtem Büchlein ist auch für den nicht systemisch geschulten Leser viel Denkstoff angeboten. Ob wirklich Luhmann all das so unterschreiben würde, tritt in den Hintergrund. Wichtig ist ja das „was wirkt“.
Ein Gedanke zu “Luhmanns Lösungen”