INSPIRATION: Der Wandel von einer hierarchischen zu einer sich selbst organisierenden Unternehmung ist eine große Herausforderung, daran besteht wohl kein Zweifel. Und er wird in der Regel von außen begleitet. Die Berater fungieren als Prozessbegleiter und als Experten, und der Prozess startet an der Unternehmensspitze.
Das zumindest machen zwei Autoren in der OrganisationsEntwicklung (Die Organisation der Selbstorganisation) unmissverständlich deutlich. Ihr Vorgehen ist aufschlussreich. Sie beginnen nicht mit umfangreichen Schulungen, klären zu Beginn lediglich ein grundlegendes Verständnis von Konzepten und Begriffen. Danach wird vor allem ausprobiert und experimentiert. Das heißt, die Gruppen probieren erst einmal verschiedene Techniken und Praktiken aus, sammeln damit Erfahrungen und bilden sich eine Meinung. Gemeint sind z.B. Entscheidungsverfahren, Rollenwahl, Wahlverfahren usw.
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Einen Rahmen geben
Sie müssen aber auch die Sicherheit haben, diese Experimenten machen zu dürfen, und das geht nur, wenn es dafür einen Rahmen gibt, der Schutz bietet. Den kann nur die Unternehmensleitung bieten, die dieses Experimentieren gestattet. Deshalb beginnen die Autoren grundsätzlich an der Unternehmensspitze – diese experimentiert also erst einmal selbst mit der Selbstorganisation. Schöner Satz: „Führung wird in kleinen Dosen neu organisiert“, deshalb entsteht parallel zur alten Organisation nach und nach ein neues System.
Dieses evolutionäre Vorgehen nennen die Autoren auch das „Sog-Prinzip“ – hier werden nicht auf einen Schlag alle alten Strukturen verändert, sondern Führung wird nach und nach neu verteilt – wie weit, das entscheiden die Gruppen selbst. Das hängt auch davon ab, inwieweit die notwendigen sozialen Fähigkeiten und kommunikativen Fertigkeiten ausgeprägt sind. Hier unterstützen die Berater bei Bedarf, indem sie das Üben begleiten und unterstützen.
Das Gegenteil eines evolutionären Vorgehens
Klingt sehr pragmatisch und nach einer Menge Erfahrung. Und so ganz anders als in einem zweiten Beispiel. Bei der Swisscomm hatte man beschlossen, in einem Teilbereich mit 100 Mitarbeiter die Holokratie einzuführen und den Prozess wissenschaftlich begleiten zu lassen. Man hat die Mitarbeiter vorab befragt, dann fünf Monate nach der Einführung und wollte eigentlich noch einmal nach einem Jahr befragen, aber dazu kam es nicht „mangels Ressourcen“. So müssen wir mit den Ergebnissen der Umfragen nach relativ kurzer Zeit vorlieb nehmen.
Offenbar begann man im Oktober 2016 mit ersten Holocracy-Trainings, entwickelte im Februar den „künftigen Purpose“ und im März mit einer ausgewählten Gruppe in einer „Discovery Session“ die Initialstruktur. Also ziemlich genau das Gegenteil eines evolutionären Vorgehens.
Im April 2017 wurde mit einer ersten Befragung die „Baseline Messung 0“ erhoben, im September 2017 die Messung 1. Hier einige markante Ergebnisse: Das Vertrauen in die Holokratie als Modell für die Abteilung verschlechterte sich signifikant, die Länge der Meetings nimmt ab, die Prioritäten wurden klarer, die Umsetzung eigener Ideen wird besser beurteilt, die Arbeitszufriedenheit blieb konstant, der Austausch zwischen den Kreisen wird als ausreichend eingeschätzt.
Befragt wurden offenbar auch die internen Kunden, und die sind deutlich weniger zufrieden. Fazit der Autoren: Man hat offenbar hohe Erwartungen geweckt, die nicht so wie erhofft erfüllt wurden (was bei einer Befragung kurz nach Einführung und dann nach wenigen Monaten nicht sonderlich überraschend ist). Empfohlen wird hier, partizipativ vorzugehen. Also vielleicht so wie oben beschrieben?