INSPIRATION: Die Zeiten, in denen Arbeit vor allem der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen sollte, sind vorbei. Zumindest, wenn man den einschlägigen Publikationen und Ratgebern Glauben schenkt. Selbstverwirklichung reicht aber auch nicht mehr, Arbeit soll Sinn stiften. Aber was Menschen wirklich motiviert, ist etwas anderes, erklärt der Neurowissenschaftler Henning Beck in der Wirtschaftswoche (Motiviert durch den Purpose? Von wegen).
„Den größten Antrieb erhalten wir vielmehr aus dem Ergebnis dessen, was wir tun …“ Wir streben danach, uns zu verbessern, zu entwickeln. Wohl wahr. Genauer: Erkennen wir einen konkreten Fortschritt, motiviert das ungemein. Und passt das dann zu dem, was wir uns vorgenommen haben, ist (fast) alles gut. Dann stört es auch nicht, wenn die Tätigkeiten mal sehr banal und langweilig sind. Schöne Analogie: Menschen rennen durch die Gegend, nennen das Jogging und bleiben dabei, weil sie einen Fortschritt erkennen. Und weil sie sich etwas vorgenommen haben. Wo soll da der höhere Sinn sein? Sie haben wohl kaum die Gesundheit der Menschheit im Blick oder den „Purpose“, die Gesundheitssysteme zu entlasten.
So auch der Handwerker, der einen Dachstuhl errichtet und das vermutlich schon zum 100. Mal tut – und trotzdem nach wie vor motiviert ist, weil er den Fortschritt seiner Arbeit wahrnimmt. Welchen „höheren Sinn“ benötigt er für seine Arbeit?
Wozu also dann der ganze Aufwand mit dem „Purpose“? Nur ein „Management-Gimmick“, wie Stefan Kühl schreibt? Oder die Reaktivierung der alten Missions- und Visions-Manie unter neuem Namen?
Management-Gimmick
Tatsächlich glaube ich auch nicht, dass mich ein formulierter Unternehmenspurpose langfristig motivieren kann, mich auch langweiligen Aufgaben mit Engagement zu widmen. Es ist aber viel einfacher, ein paar schöne Leitsätze zu formulieren als sich damit zu beschäftigen, in den konkreten Jobs dafür zu sorgen, dass der einzelne Mitarbeiter Fortschritt erlebt. Anders ausgedrückt: Vermutlich arbeitet jemand motivierter in einem Unternehmen ohne Anspruch auf die Verbesserung der Welt, wenn sein Job sichtbare Ergebnisse erzeugt als jemand in einer Organisation mit hehrer Mission, aber einer Aufgabe ohne sichtbare Fortschritte.
Noch mal anders gewendet: Der „Purpose“ wird nur dann – bezogen auf einen Bewerber – seinen Zweck erfüllen, wenn man gleichzeitig interessante Jobs anbietet. Das wird der Berater aber vermutlich nicht zur Bedingung machen, wenn er den Auftrag erhält: „Wir suchen unseren Purpose – können Sie uns dabei helfen?“ Eigentlich müsste er dann erwidern: „Dann wollen wir erst mal schauen, wie es um die konkreten Tätigkeiten vor Ort aussieht.“ Sind diese alles andere als motivierend – im oben erläuterten Sinn – sollte er dem Unternehmen empfehlen, erst einmal hier aktiv zu werden. Das wäre ein Mammutaufgabe …