INSPIRATION: Ein Thema, über das ich vermutlich auch schon häufiger geschrieben habe – zumindest schwang es immer wieder mal mit. Es geht um das Thema „Zahlengläubigkeit“. Um den alten Satz, dass sich nur managen lässt, was man auch messen kann. Oder wie Henning Beck in der managerSeminare schreibt: „Nur wenn etwas eine Kennzahl hat, ist es existent.“ Aber dazu später mehr. Tatsächlich scheint es immer „schlimmer“ zu werden. Likes, Follower, Klicks sind zu den klassischen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen hinzugekommen.
Beck erinnert daran, dass es nun mal wichtige Dinge gibt, die sich nicht in Kennzahlen ausdrücken lassen – er nennt Glück, Hoffnung, Vertrauen, Erfahrung, Wissen und Kompetenz (Vertrauen Sie auf das Nichtmessbare). Ach was, denke ich, Kompetenz lässt sich also nicht „messen“. Was bedeutet das? Man kann so viel Skalen entwickeln wie man will – eine Art Zollstock für diese Phänomene gibt es nicht. Und was ist mit Rating-Skalen? Probieren Sie es aus. Drücken Sie den Mitgliedern eines Teams eine Beurteilungsskala in die Hand und lassen sie damit einen Kollegen einschätzen – jede Wette, Sie erhalten äußerst unterschiedliche Resultate.
Aber im Coaching arbeiten Sie mit Skalierungsfragen, und das funktioniert gut? Tut es, ganz sicher. Wenn Sie fragen: „Wie schlimm auf einer Skala von 0 bis 10 ist Ihre Angst?“, dann hilft das Ihrem Klienten dabei, ein Gefühl einzuordnen (und Abstand zu ihm zu bekommen). Aber ist das eine Messung? Genauso könnten Sie ihn fragen: „Von Blassrosa bis Dunkelrot – wie groß ist Ihre Angst?“ Würde auch beim Längenmaß funktionieren: „Wie groß war der Täter – auf einer Skala von 0 bis 10?“ Hier würde niemand von Messen sprechen, oder?
Wie war das mit dem Skalenniveau?
Aber ist das wirklich ein Problem? Ist es. Zum einen, weil damit ständig gerechnet wird. Der eine Arzt hat im Internet eine Bewertung von 4,8 Sternen, der andere nur 4,4. Dabei wissen wir doch auch mit geringem Wissen in Statistik, dass Durchschnittsberechnungen nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn es sich um eine metrische Skala handelt – also die Abstände zwischen zwei Skalenwerten identisch sind. Ein bis fünf Sterne stellen eine Ordinalskala dar – ein Stern ist schlechter als zwei. Aber niemand weiß, um wie viel schlechter. Trotzdem glauben wir, dass 4,4 schlechter als 4,8 ist.
Ein anderes schönes Beispiel von Henning Beck. Lernen sei vielleicht der größte Bereich des Nichtmessbaren. Denn wer erzielt einen größeren Lernerfolg – derjenige mit der besten Abschlussnote? Wenn man zehn Jahre möglichst wenig des Gelernten verlernt hat? Wenn man sich am meisten verbessert hat?
Immer wieder deprimierend: Weil man messen will, wird so geprüft, dass etwas ausgezählt werden kann. Also werden Multiple-Choice-Klausuren durchgeführt. Da kommt tatsächlich jeder Auswerter zum gleichen Ergebnis, aber letztlich wird die Fähigkeit erfasst, ein Kreuz an die richtige Stelle zu setzen.
Gestalten statt kontrollieren?
Okay, alles nicht wirklich neu (Taschenspielertricks). Andererseits: Die Hoffnung, irgendwann doch einmal schöne Kennzahlen für nahezu jedes Phänomen zu finden, stirbt nicht aus. Und solange die entsprechenden Messverfahren nicht vorliegen, rechnet man fröhlich weiter mit Schätzwerten. Weil – ja weil man das Phänomen sonst nicht managen kann. Oder es gar nicht existent ist. Wir fühlen uns sicherer, wenn wir etwas als Zahl ausdrücken können. Weil wir es dann vermeintlich kontrollieren können. Zahlen lügen ja nicht.
Aber vielleicht stimmt sogar der Satz vom „nicht managen können“. Managen im Sinne von Kontrollieren, Steuern, Lenken. Umsatz lässt sich managen, Mitarbeiterzufriedenheit nicht. Angst auch nicht. Und Lernen erst recht nicht. Also machen wir es eben irgendwie messbar. Und wiegen uns in Sicherheit.
Aber wenn messen nicht funktioniert – was dann? Mir fällt da am ehesten der Begriff „Gestalten“ ein – und zwar nicht die Zufriedenheit, die Angst oder das Lernen. Sondern das Umfeld, die Rahmenbedingungen. Sie so gestalten, dass sich Zufriedenheit einstellt, Angst weniger wird, Lernen möglich wird.
Und wie misst man, ob das Gestalten erfolgreich war? Gar nicht. Man spricht mit Menschen, fragt sie, wie es ihnen geht. Was sie gelernt haben. Womit sie zufrieden sind und womit weniger. Und was passieren muss, damit all das noch besser wird. Die Ergebnisse präsentiert man dann dem Management – äh, nur wie? Qualitative Aussagen lassen sich ja nicht als Grafik darstellen. Erklären Sie das mal einem Manager, der managen möchte…