KRITIK: Zufall oder Trend? Die Management-Literatur hat das Thema „Präsenz“ entdeckt. Im Sinne von „voll da sein“, mit allen Sinnen. Wach sein. Aufmerksam sein. Bei der Sache sein. Was uns immer schwerer fällt. Ob letzteres stimmt? Zumindest sind seit dem Massenphänomen Smartphone die Gelegenheiten zu Ablenkung deutlich größer als früher.
Aber wer kennt nicht auch aus alten Zeiten die Kollegen oder Führungskräfte, die offenbar mit Gedanken ganz woanders waren, wenn man sie ansprach. Nur heute ist es vielleicht viel offensichtlicher. Wenn jemand so tut, als höre er zu, aber die Mimik verrät, dass er genau das nicht tut, dann merkt man das nicht direkt. Wenn aber jemand auf sein Smartphone oder seinen Bildschirm starrt, während man ihm etwas erzählt, oder gar noch dabei etwas eintippt, dann ist die Sache eindeutig.
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Ich habe es mir angewöhnt, in diesen Momenten das Reden einzustellen und so lange zu warten, bis mein „Gesprächspartner“ irritiert den Blick hebt. Je nach Situation sage ich dann auch gerne: „Schreib (oder lies) ruhig erst zu Ende, ich warte so lange!“. In der Regel legt der andere das Gerät dann zur Seite oder klappt gar das Laptop zu.
Aber nun soll mit Präsenz deutlich mehr gemeint sein. Wir sind nämlich auch nicht unbedingt präsent, während wir an einer Sache arbeiten. Wir sind zwar körperlich anwesend, aber im „Doing Modus“. Und der nimmt den Großteil unserer Zeit in Anspruch. Ob im Job oder zu Hause – ständig müssen wir etwas erledigen. In dieser Situation ist unser Geist gar nicht in der Lage, andere Signale wahrzunehmen. Präsenz soll nun also ein anderer Zustand sein, oder gar eine Haltung. Der „Spacious Modus“. Der „im schmalen Abstand zwischen Reiz und Reaktion“ entsteht (Ich bin ganz bei dir). Wir sind also in einem Zustand, in dem wir innehalten, in dem wir zuhören, nicht um zu antworten, sondern um zu verstehen.
Er ist da!
Das Zuhören hat Hochkonjunktur – wie schön. Lesen wir immer öfter jetzt (Ohne Ziel zuhören?). Aber einfach nur zuhören ist zu banal, da muss irgendwas Geheimnisvolles her. Eben Präsenz. Und schwupp, wir haben etwas, das man Managern verkaufen kann. Da hilft z.B. der Hinweis auf Napoleon. Der wie nun mal alle großen Persönlichkeiten allein durch seine Präsenz glänzte. Da reicht das Wissen: „Er ist da. Und plötzlich kämpft eine Armee anders.“
Ach herrje – vermutlich sind wir jetzt ganz schnell wieder beim Thema „Charisma“. Alle sind ganz gebannt, wenn der große Herr und Meister den Raum betritt und ihn mit seiner Präsenz füllt. Und was muss die gemeine Führungskraft tun, um genauso zu wirken?
Ruhe bewahren
Tipp der Experten: Das kann man nicht trainieren, auch wenn man uns das glauben machen will. Und trotzdem erhalten wir die üblichen Tipps: Blickkontakt, Nicken, Ablenkungen ausschalten, sich vor einer Situation überlegen, was man erreichen möchte. Und sich dann entscheiden. Wofür? Genau dafür: Voll da zu sein. Innerlich die Ruhe zu bewahren, wenn um uns herum alle in Bewegung sind. Hatten wir das nicht alles schon mal unter dem Label „Achtsamkeit“?
„Präsenz wächst nicht im Getöse, sondern in der Stille.“ Dann nämlich geschieht es: „Ruhe, die sich auf andere überträgt.“ Tatsächlich bin ich am Schluss wieder bei dem Autor: Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir uns entscheiden könnten, uns ganz auf das zu konzentrieren, was gerade vorgeht – speziell in Meetings und in Gesprächen. Vorher tief Luft holen und die Dinge auf uns wirken lassen. Und sich vornehmen, nur dann den Mund zu öffnen, wenn wir eine Frage haben.
Wie viel wäre damit schon gewonnen.

Ich habe auch eine Gesangsausbildung. Wenn ich „in diesen heil’gen Hallen“ vor Publikum und auf der Bühne stehend gesungen habe , mußte ich „voll da sein“. Warum? Weil es mir Freude und Befriedigung gebracht hat.
So ist es in anderen Kontexten auch. Also: suche Betätigungen , die du tun willst.
In Kontexten, die ich nicht erstebe, bin ich auch nicht voll da. Die Höflichkeit gebietet es, trotzdem zu lächeln.