INSPIRATION: Freundschaft ist etwas Feines, Kollegialität auch. Selbstorganisation liegt im Trend, und die Experimente dazu machen Mut. Aber wenn es ums Geld geht, wird die Sache schwierig. Und so gerne wir auch mehr Entscheidungsspielraum hätten und mehr Flexibilität in Sachen Arbeitszeit und Work-Life-Balance – beim Gehalt geraten Freundschaft, Kollegialität und Selbstbestimmung ins Schwanken.
Das Gedankenexperiment dazu ist einfach: Wir bekommen einen Job angeboten, bei dem wir weitaus mehr Freiraum haben als auf unserer alten Stelle. Die Tätigkeit erscheint uns höchst sinnvoll, das Management nimmt es auch mit den Arbeitszeiten nicht so genau, das heißt, solange wir unsere Leistung bringen, schaut niemand auf die Stundenzahl. Und wenn es uns passt, können wir auch von zu Hause oder unterwegs arbeiten.
Dafür sind viele Menschen bereit, auf einen Teil des Gehaltes zu verzichten, was bedeutet, dass wir, bei gleicher Leistung, die genannten „Annehmlichkeiten“ praktisch als Gehaltsbestandteil, als Teil des Lohnes, betrachten und deshalb durchaus auch auf Euros oder Dollar verzichten würden. Angeblich, so Autor Mischa Täubner (Wovon leben wir morgen?), gilt das für 90% der amerikanischen Arbeitnehmer, sie würden im Schnitt 23% weniger Einkommen in Kauf nehmen.
Ein Gedankenspiel
Nun spinnen wir mal weiter: Wir nehmen mit Begeisterung die neue Stelle an und der Job erfüllt genau ihre Erwartungen. Wir müssen nicht mal auf Gehalt verzichten, der Arbeitgeber kann das Gleiche zahlen wie der vorherige. Was könnte dann unser Glück noch trüben?
Ganz einfach: Wir stellen irgendwann fest, dass der Kollege, der mit uns eingestellt wurde, offenbar besser verhandelt hat und deutlich mehr Geld für die gleiche Tätigkeit bekommt. Sonst hat sich nichts geändert – lediglich das Wissen darum, dass es offenbar Kollegen gibt, die mehr als wir auf dem Gehaltszettel stehen haben. Würde das unser Glück über die neue Stelle trüben? Mit Sicherheit, wie dieses ziemlich bekannte und höchst unterhaltsame Experiment zeigt:
Hier bekommt der eine Affe eine Stück Gurke, womit er sehr zufrieden ist. Doch dann stellt er verblüfft fest, dass der „Kollege“ für die exakt gleiche Tätigkeit eine Traube erhält. Seine Empörung ist gewaltig, seine Reaktion einfach umwerfend (ab Minute 1:30).
Der Anfang der Unzufriedenheit
Der Vergleich mit anderen ist das Ende vom Glück und der Anfang der Unzufriedenheit (Kierkegaard). Wir sind in unserer Ehre gekränkt, fühlen uns weniger wichtig, weniger respektiert und gewertschätzt. Mit der Folge, dass wir entweder unsere Leistung reduzieren, schlechte Laune verbreiten, schlecht schlafen, uns beim Chef beklagen und plötzlich all die Vorteile unserer schönen Stelle nicht mehr wahrnehmen.
Was wäre das Gegenmittel? Für den Einzelnen lautet die Botschaft von Autor Wolf Lotter, „nicht zu wollen, was andere haben, sondern zu wollen, was man braucht“ (Der Sinngehalt). Klingt einfach, ist aber so unendlich schwer. Dazu müsste man sich ja intensiv mit seinen Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzen, sich fragen, wofür man eigentlich arbeitet. So wie in der schönen Geschichte, die Niels Van Quaquebeke im Interview der Brand eins erzählt („Das Gehalt kann es nicht mehr sein“) – auch nicht neu, aber immer wieder höchst aufschlussreich.
Da ist ein Kioskbesitzer, der sich über die Skateboarder ärgert, die vor seinem Laden ihre Kunststücke aufführen. Statt sie zu verjagen oder Geld dafür zu bieten, dass sie woanders herumsausen, bietet er ihnen fünf Dollar, damit sie am nächsten Tag wiederkommen. Da sie dies ohnehin wollen, freuen sie sich natürlich. Am nächsten Tag reduziert er den Anreiz auf zwei Dollar, was ihnen nicht gefällt, aber das ist besser als gar nichts zu bekommen. Doch am dritten Tag, als er sie bittet, wieder zu kommen, aber dafür nichts mehr zahlen zu können, beschimpfen sie ihn und bleiben weg – das, was ihnen eigentlich wichtig ist, hat völlig an Wert verloren. Mehr noch: Sie denken gar nicht mehr darüber nach, worum es ihnen eigentlich mal ging.
Faire Gehaltssysteme?
Weil Arbeitgeber wissen, welcher Unfriede entsteht, wenn die Gehälter nicht einigermaßen gerecht verteilt sind, bemühen sie sich, in der Regel mit Unterstützung zahlreicher Berater, mit hochkomplexen Modellen gegenzusteuern. Bei klassisch industriellen Tätigkeiten hat das angeblich einigermaßen funktioniert, doch der Aufwand war schon immer enorm. Und wirklich zufrieden ist am Ende kaum jemand. Eine andere Methode: Man sorgt dafür, dass niemand über sein Gehalt spricht, und tatsächlich ist der Arbeitslohn nach wie vor ein großes Tabu-Thema. Dafür wird dann eben viel spekuliert, was die Unzufriedenheit möglicherweise noch größer macht.
Ein Dilemma, vor dem jetzt auch viele der experimentierfreudigen Unternehmen stehen, die New Work auf ihre Fahnen geschrieben haben. Was sollen sie tun, wenn der einzelne Mitarbeiter sich an den Kollegen misst und trotz der schönen neuen Arbeitswelt latent unglücklich ist? Alle gleich bezahlen? Das hilft wenig, denn dann wird anders herum verglichen: „Wie viel leistet Kollege X im Vergleich zu mir – es kann doch nicht sein, dass er für diese Leistung das Gleiche bekommt!!!“.
Wie es euch gefällt
In einem Unternehmen der Fertigungsindustrie, wo kaum jemand noch das Gehaltssystem durchschaute, entschied man sich für eine mutige Aktion (Entscheidet selbst!): Man bat die Mitarbeiter, sich an den Überlegungen für ein neues Gehaltssystem zu beteiligen. Einige wenige meldeten sich, das Gros der Angestellten reagierte mit Misstrauen und vermutete, dass die Pläne ohnehin schon in der Schublade lagen. Und hielten diejenigen, die schließlich mitmachten, gar für „Marionetten oder Spione“ der Geschäftsleitung.
Wieso? Da hatte man die Möglichkeit, ein gerechteres Modell zu entwickeln, aber kaum jemand stellte sich der Herausforderung. Um zu dem Affenexperiment zurückzukehren: Man stelle sich vor, der Affe, der die Trauben bekam, wäre aufgefordert worden, sich einzubringen, um das System gerechter zu gestalten …
Aber im Ernst: Die Angst, am Ende vielleicht zu denjenigen zu gehören, die in einem neuen Modell schlechter abschneiden, ist nachvollziehbar. Das macht es so schwer, bestehende Systeme zu verändern, da sollten es Start-ups, die auf der grünen Wiese starten, etwas einfacher haben. Das Schöne an der Geschichte: Trotz aller Widerstände gelang es, ein Modell zu entwickeln, das … – nein, es sorgte nicht für perfekte Gerechtigkeit, sondern es zieht deutlich weniger negative Nebenwirkungen nach sich.
Ich verzichte darauf, Einzelheiten zu beschreiben, denn meines Erachtens ist die Konsequenz aus den Erfahrungen nicht ein bestimmtes Ideal-Modell, sondern dass, welches System auch immer entworfen wird, es offen diskutiert, auf Augenhöhe verhandelt und vor allem immer wieder hinterfragt und angepasst werden sollte. Zusammen mit den Betroffenen. Lassen Sie sich auf keinen Fall ein Modell von Entgelt-Beratungen „maßschneidern“ – es gibt kein Modell, das passt wie ein Maßanzug. Jedes Modell kneift hier und da, und letztlich ist die Frage, welche der Nebenwirkungen am ehesten erträglich sind – für die Mitarbeiter als auch für den Arbeitgeber …