INSPIRATION: Sie wird nach wie vor völlig unterschätzt: Die Rolle, die der Zufall bei Erfolg und Misserfolg spielt. Die ZfO widmet dem Thema ein ganzes Heft. Und auch wenn viele Erkenntnisse nicht neu sind: In der Praxis spielen Losverfahren und Führungsexperimente kaum eine Rolle. Das sollte sich ändern.
Warum zum Beispiel glauben Personaler immer noch allen Ernstes, sie könnten den einzig wahren und bestens geeigneten Kandidaten für eine Position erkennen? Ob jemand später auf einer Stelle erfolgreich ist, hängt bei weitem nicht nur von seinen Fähigkeiten ab. Sondern viel mehr vom Zusammentreffen der unterschiedlichsten Faktoren. Tatsächlich erklären zum Beispiel Persönlichkeitsmerkmale nur einen kleinen Teil des Erfolgs von Managern, der größte Teil ist nicht erklärbar.
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Und wenn man denn mal glaubt, einen Zusammenhang zwischen bestimmten Merkmalen und Erfolg gefunden zu haben, dann sollte man genauer hinschauen. So wie bei der erstaunlichen Feststellung, dass Eishockeyspieler, die am Anfang eines Jahres geboren wurden, offenbar talentierter als andere sind. Zu dumm, dass der Effekt dadurch zustande kommt, dass der 31.12. das Datum ist, nach dem Kinder in die nächste Spielklasse wechseln. Die Älteren sind physisch stärker und setzen sich eher durch, werden dadurch noch stärker, das holen die anderen nicht mehr auf (Glückliche Umstände).
Wer hat, dem wird gegeben
Das führt zu dem „Matthäus-Effekt“: Wer hat, dem wird gegeben. Kennt man auch aus dem Management: Erfolgreiche Führungskräfte, auch wenn deren Erfolg durch viel Glück zustande kam, bekommen neue und interessante Aufgaben. Die anderen werden weniger berücksichtigt. Gefährlicher ist noch eine andere Folge: Man orientiert sich an jenen, die offenkundig großartige Erfolge erzielen. Das führt zu den bekannten „Best Practice“-Beispielen, die zahlreiche Management-Bücher füllen. Aber gerade die besonderen Erfolge sind vermutlich eher von besonderem Glück begünstigt. Eine mögliche Konsequenz daraus: Statt sich diese „Glückskinder“ anzuschauen und sie zu bewundern, lieber auf die „Zweitbesten“ schauen. Wobei man mit solchen Studien vermutlich keine Bestseller schreibt …
Eine weitere Konsequenz ist der Einsatz von Losverfahren, z.B. bei der Entscheidung für einen Kandidaten in einer Managementposition. Ein interessantes Experiment stützt diesen Vorschlag (Chef per Los?). Man ließ 144 Sechsergruppen Quiz zum Allgemeinwissen durchführen. Vorher bat man die Versuchspersonen anzugeben, was sie für eine faire Verteilung der „Prämien“ halten: Der Chef teilt allen den gleichen Anteil zu; er gönnt sich etwas mehr als anderen; oder er teilt sich selbst die dickste Prämie zu.
Nach der Beendigung des Quiz sollte jeder seine Punktzahl einschätzen. Auf diese Weise wollte man herausfinden, wer zur Selbstüberschätzung neigt. Dann teilte man die Gruppen in zwei Hälften: Bei der einen wurden zum „Manager“ diejenigen mit der höchsten Punktzahl ernannt. In der anderen wurde der „Manager“ aus der Gruppe der drei Erstplatzierten ausgelost. Und siehe da: Im zweiten Fall entschieden sich deutlich weniger dafür, sich die größte „Prämie“ zuzuteilen. Soll heißen: Zu wissen, dass man seine Position zum Teil dem Zufall verdankt, schützt vor Hybris und Machtmissbrauch.
Personalauswahl
Was spricht dagegen, genauso auch bei der Personalauswahl zu verfahren? Also die Entscheidung über den Zuschlag dem Los zu überlassen, nachdem man zuvor eine „Shortlist“ aus den drei Top-Kandidaten erstellt hat. Und dem Glücklichen auch mitteilt, dass er seine Wahl nur zum Teil seiner Eignung, sondern eben auch dem Los zu verdanken hat. Mit dem positiven Nebeneffekt, dass auch die Verlierer ihr Gesicht wahren und eben nicht an ihrer Eignung zweifeln (Per Zufall auf dem Chefsessel). Übrigens ist das keine wirklich neue Idee, nur leider in Vergessenheit geraten. Im 18. Jahrhundert wurden Professuren an der Universität Basel nach einem Losverfahren vergeben („Die Wahl zu Dreyen“). Und schon im klassischen Athen und in in den mittelalterlisch Stadtstaaten in Norditalien wurden politische Ämter im Losverfahren besetzt (Volksvertreter per Los).
Es gibt noch ein weiteres gutes Argument: Laut vieler Studien stellen sich Frauen, auch wenn sie hochqualifiziert sind, ungerne Wettbewerbssituationen. Vor allem, wenn sie gegen Männer antreten, eine der Ursachen für die „gläserne Decke“. Eine heiß diskutierte Lösung hierfür ist die Quote, die aber – wenn auch unberechtigt – im Verdacht steht, (fähige) Männer zu benachteiligen. Würde man nun die Auswahl dem Los überlassen, könnte man auch hier, zumindest zum Teil, Abhilfe schaffen (Chefin per Los). Bleibt die Frage, wann wir etwas über Unternehmen oder Organisationen erfahren, die den Mut haben, hier voranzugehen.