REZENSION: Maja Storch / Benita Cantieni / Gerald Hüther / Wolfgang Tschacher – Embodiment. Hogrefe 2017.
Vielen Menschen fällt es schwer, achtsam mit dem eigenen Körper umzugehen. Der eigene Körper ist oft ein Grund für das Erleben von Peinlichkeit und Schwäche oder das Ziel von Aktivitäten, die man dem Kraft- und Schönheitswahn zuordnen kann. Vernunft gilt als cool, Emotionen als irrational …
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Als man in den 1970er-Jahren von der kognitiven Wende in der Psychologie sprach, kennzeichnete dies einen Epochenwechsel: Weg vom plumpen Behaviorismus eines Burrhus Frederic Skinner, der in seinem Roman „Walden Two“ prahlte, er könne durch operante Konditionierung das Leben einer Gemeinschaft beliebig formen, hin zu einer viel anspruchsvolleren, individuellen und damit freieren Psychologie. Die zwei Dekaden später einsetzende emotionale Wende in der Psychologie wurde weit weniger als radikaler Einschnitt wahrgenommen. Doch die Reintegration der Emotionen in die Psychologie seitdem ist viel radikaler. Nicht nur, dass die Emotionen aus der „Schmuddelecke“ der Körperpsychotherapie und angrenzender „unwissenschaftlicher“ Methoden (Yoga, Tai Chi Chuan, Feldenkrais, Focussing, Meditation etc.) befreit wurden. Viel gravierender war das Diktum von Antonio Damásio: Descartes Irrtum. Der französische Philosoph René Descartes hatte der Wissenschaft nämlich eine unproduktive und fatale Körper-Geist-Spaltung hinterlassen, die bis heute ihr Unwesen im Denken und Fühlen der Menschen treibt.
Geist und Körper bilden eine untrennbare Einheit
Seit den neurowissenschaftlichen Erkenntnissen Damásios und anderer Forscher wissen wir es besser: Geist und Körper bilden eine untrennbare Einheit. Die Autoren gehen in „Embodiment“ den Fragen rund um eine ganzheitliche Sicht unserer Existenz nach und kommen einmütig zum Schluss: Es ist höchste Zeit, das wichtigste Erfahrungsinstrument des Menschen zurückzuerobern: den Körper. Sie fordern, das Prinzip Embodiment zu berücksichtigen. Unser Geist ist ein verkörperter Geist – und umgekehrt. Daher muss, wer Menschen berät, therapiert und erforscht, immer auch den Körper einbeziehen.
Dieses Buch ist ein Wagnis, schreiben die Autoren im Vorwort. Denn es ist das Ergebnis der Zusammenkunft von Vertretern verschiedener Disziplinen, die im gemeinsamen Gespräch, in der Diskussion, im Ringen und Abwägen eine gemeinsame Embodiment-Plattform entwickeln: Maja Storch, die Psychotherapeutin und Mitentwicklerin des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM®), Benita Cantieni, die Physiotherapeutin, Gerald Hüther, der Hirnforscher, und Wolfgang Tschacher, der Systemtheoretiker und Psychiater.
Wolfgang Tschacher (Universität Bern)
zeigt auf, weshalb die Abspaltung des Geistes vom Körper nicht funktionieren kann. Geradezu köstlich liest sich seine radikale Abrechnung mit der sogenannten Künstlichen Intelligenz, die heutzutage so viele inspiriert. Denn sie baut eben auf der Descartes‘schen Unterscheidung (Schnittstelle; sic!) zwischen Geist und Körper auf: „In der Gegenwart existiert kein Programm und kein Computer mit auch nur annäherungsweise menschenähnlicher Intelligenz“ (S. 14). Und weiter: „Die Vorstellung von Denken und Intelligenz als reiner Kopfgeburt, als rein symbolische Informationsverarbeitung wie es in der klassischen KI vorausgesetzt wurde, ist eine Sackgasse! (…) Die menschliche Intelligenz braucht einen Körper, um sich entfalten zu können“ (S. 17). Sein Fazit: „Nichtsprachliche, unbewusste Prozesse auf der Basis einer von Gefühl, Körper und Situation angetriebenen und geformten geistigen Selbstorganisation bilden die Grundlage von Intelligenz“ (S. 34).
Maja Storch (ISMZ, Zürich)
beleuchtet, warum und wie die Psyche im Körper wohnt und wie im ZRM®-Training mit Embodiment gearbeitet wird. Das ZRM® erweitert das altbekannte Rubikonmodell (Heckhausen & Gollwitzer) der Motivationspsychologie um eine vorgelagerte Bedürfnisphase. Unbewusstes und Bewusstes (Verstand) müssen zusammenspielen, damit nachhaltige, zufriedenstellende Ziele erreicht werden können. Dafür muss zunächst das Unbewusste sich äußern können (somatische Marker). Solche „Körpersprache“ will dann verstanden, also übersetzt werden. Das gelingt über die Arbeit mit Bildern, Gesten, Klängen und weiteren Kodierungen – ein Haltungsziel wird gefunden und verankert. Das ZRM® versteht sich als ein Selbstmanagement-Training und hat sich inzwischen als sehr wirksam erwiesen.
Gerald Hüther (Akademie für Potentialentfaltung, Göttingen)
schildert, wie sich im Laufe eines Menschenlebens ein soziokultureller „Entkörperungsprozess“ vollzieht. „Ohne es selbst zu bemerken, entfernt sich der betreffende Mensch im Verlauf dieses Anpassungsprozesses immer weiter von dem, was sein Denken, Fühlen und Handeln ursprünglich, als er noch ein kleines Kind war, primär geprägt hatte: die eigene Körpererfahrung und die eigene Sinneserfahrung“ (S. 88). Er vergleicht dies mit dem biblischen Bild der Vertreibung aus dem Paradies. Was kein Schicksal bleiben muss. Daher gelte es, den eigenen Körper wiederzuentdecken.
Benita Cantieni, die Physiotherapeutin aus Küsnacht/Schweiz
liefert schließlich das anatomische, praktische Angebot für die Leserschaft: „Die Grundhaltung aller Wirbeltiere ist ‚entspannt aufgespannt‘. (…) Je ‚zivilisierter‘, also angepasster, umso denaturierter ist die Haltung“ (S. 101). Ihr Appell ist einfach: Richten Sie sich auf, richten Sie sich in Ihrem Körper ein. In ihrem Beitrag gibt sie zahlreiche praktische Beispiele.
Ob nun Coaches, Personalentwickler, Protagonisten des Betrieblichen Gesundheitsmanagements oder Führungskräfte – sie alle profitieren gleichermaßen von der Lektüre dieses Grundlagenwerks, das gut lesbar ist und zahlreiche Abbildungen enthält. Sie werden damit Teilnehmer einer Revolution in unserem Denken, unserem Weltbild, das sich schon vielfältig abzeichnet, wenn auch oft feuilletonistisch verwässert erscheint. Das Buch liefert nicht nur eine fundiert Grundlage, sondern zeigt konkrete Wege zur Umsetzung auf: Im Zürcher Ressourcen Modells (ZRM®), aber auch in körperpsychotherapeutischen sowie seriösen populären Angeboten (z.B. Yoga …). Die lohnende Lektüre wird durch ein allgemeines und ein anatomisches Glossar, ein Sach- und ein Personenverzeichnisse sowie der Hinweis auf Internetquellen ergänzt und erleichtert.