INSPIRATION: Viele Unternehmen haben offene Bürolandschaften eingerichtet und gehen davon aus, dass dadurch die Zusammenarbeit optimiert und die Ideenfindung gefördert wird. Eine Langzeitstudie hat den Einfluss der veränderten räumlichen Gestaltung auf das Kommunikationsverhalten in einer Forschungsabteilung untersucht. Zum Teil haben die Gespräche sogar abgenommen. Klingt seltsam? Bei näherem Hinsehen wird das aber nachvollziehbar.
In einem Pharmaunternehmen gab es vor der Umgestaltung viele Einzelbüros mit unmittelbar angeschlossen Laborarbeitsplätzen. D.h. die Mitarbeiter, vor allem die Laboranten, hatten kurze Wege: Sie absolvierten ihre Experimente und werteten die Daten dann am Schreibtisch nebenan aus. In der neuen Umgebung gibt es eine offene Bürozone, eine Laborzone und eine Kaffee-Ecke. Der Weg zwischen Laborarbeitsplatz und Schreibtisch ist länger, in beiden Zonen läuft man sich aber jetzt mehr über den Weg.
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Die Studie
Die Mitarbeiter wurden drei Monate vor dem Umbau beoachtet, Anzahl und Länge der Kontakte gemessen und Interviews durchgeführt. Drei Monate nach dem Umzug wurde die Messung wiederholt, und dann noch einmal zwei Jahre später. Wobei, wenig überraschend, nach zwei Jahren etwa die Hälfte der ursprünglichen Mitarbeiter nicht mehr dort arbeiteten (Visibilität in Forschung und Entwicklung), was die Vergleichbarkeit schwierig machte.
Nach der Umgestaltung stieg die Anzahl und Dauer der Gespräche zwischen Kollegen, also innerhalb einer Hierarchie-Ebene, deutlich an. Während die Kommunikation in der Linie nachließ. Dabei fanden mehr Gespräche am Büroarbeitsplatz als früher statt – was sich aus der Art der Arbeit ergibt: Es ergibt einfach mehr Sinn, sich über die Ergebnisse auszutauschen, und diese findet der Forscher in Form von Zahlen auf seinem Bildschirm.
Interdisziplinärer Austausch
Neben der Häufigkeit und Dauer der Gespräche ergaben die Interviews, dass vor allem der interdisziplinäre Austausch deutlich zugenommen hatte. Vorher gab es eben regelmäßige Gespräche mit dem Chef oder den Kollegen aus dem eigenen Forschungsgebiet. Nun tauschte man sich mehr mit Kollegen auf der gleichen Ebene, aber aus anderen Bereichen aus. Die Laboranten bekamen so manche Information zufällig mit, weil sie hörten, was woanders diskutiert wurde. Und auch sahen, wie und mit welchen Instrumenten die anderen arbeiteten. Sie entwickelten ihre „implizite Expertise Map„. Man wusste jetzt, wer von welchem Gebiet besondere Kenntnisse hatte und konnte so das eigene Netzwerk und sein Fachwissen erweitern. Allerdings litten die Gespräche innerhalb der eigenen Disziplin, was auch bedauert wurde.
Verwundert äußerten sich die Betroffenen darüber, dass sie deutlich weniger über Nicht-Fachliches plauderten als vorher, was sie auf die größeren Abstände zwischen den Labortischen zurückführten. Offenbar arbeiten sie in den offenen Laborbereichen sogar konzentrierter und ungestörter als vorher. Außerdem verlagerten sich die privaten Gespräche in andere Bereiche, z.B. in die Kaffee-Ecke.
Was schließen wir daraus?
Eine offenere Architektur sorgt dafür, dass die Fachleute sichtbarer werden, mehr Wissen ausgetauscht wird und die Experten weniger auf die Kommunikation innerhalb der Hierarchie angewiesen sind. Ein erwünschter Effekt, schön, dass er hier belegt wird. Einschränkend sei noch festgestellt, dass nach zwei Jahren der Effekt abgeflacht war. Wobei man vermuten darf, dass das Wissen um die Experten, die man ansprechen kann, wohl weiterhin eine große Rolle spielt.
Ein weiterer Rückschluss aus der Studie: In Zeiten des Homeoffice sollten Unternehmen tunlichst dafür sorgen, dass Mitarbeiter sich immer wieder vor Ort begegnen. Wobei es sicherlich eine Rolle spielt, ob es sich um Kollegen handelt, die schon längst ihre „Expertise Map“ erstellt haben und genau wissen, wem sie welche Fragen stellen können, oder um Kollegen, die eher neu im Team sind.