INSPIRATION: Versuchen Sie einmal, den Begriff „Vertrauen“ zu definieren. Gar nicht so einfach, ohne wieder das Wort „Vertrauen“ zu verwenden. Klar ist, dass er etwas mit „Risiko“, „Verletzbarkeit“ und „Kontrolle“ zu tun hat. Auf jeden Fall ein Thema, das mehr und mehr in den Fokus rückt.
Wenn ich mich an einer Definition versuche, kommt dabei meist eine Negativ-Formulierung heraus, z.B. Verzicht auf Kontrolle. Oder Verzicht auf Sicherheit. Oder Verzicht auf Planung. Wenn ich mich auf ein Hochseil begebe und kein Sicherheitsnetz verwende, dann vertraue ich der Belastbarkeit des Seils, der Befestigung und meinen eigenen Fähigkeiten, vielleicht auch noch der Wettervorhersage, die keinen Wind angekündigt hat. Ich risikiere in diesem Fall mein Leben, ernte im besten Fall viel Aufmerksamtkeit und Bewunderung.
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Wenn ich einem Mitarbeiter einen Brief an einen Kunden schreiben und unterschreiben lasse und darauf verzichte, den Brief noch einmal zu lesen, dann vertraue ich seiner Kompetenz, seiner Fachkenntnis und seinem Verantwortungsbewusstsein. Ich riskiere (im Extremfall) den Verlust des Kunden, ernte im besten Fall die Loyalität und ein hohes Engagement des Mitarbeiters – und mehr Zeit für andere Dinge.
In einem Interview in der managerSeminare (Sprung ins Vertrauen) erklärt Reinhard Sprenger, dass vielen Führungskräften, die wenig vertrauen, ein gering ausgeprägtes Selbstvertrauen haben. Das kann man nachvollziehen: Wenn ich selbst schlechte Erfahrungen gemacht habe, selbst schon mal ein Projekt in den Sand gesetzt habe, dann dürfte es mir schwerfallen, anderen die Entscheidungsfreiheiten einzuräumen. Und wenn mein Vertrauen schon mal missbraucht wurde und ich deshalb richtig Ärger bekommen habe, dann werde ich vermutlich auch misstrauischer.
Was hilft? Ganz einfach: Reden! Wobei man unterscheiden muss zwischen einer Unternehmenskultur, die von Misstrauen und Kontrollwahn gekennzeichnet ist und verändert werden soll und einer, die noch am Anfang steht und noch nicht durch schlechte Erfahrungen „verdorben“ ist.
Im ersten Fall empfiehlt Sprenger „kleine Schritte in Richtung Vertrauen, der möglicherweise Sog erzeugt.“ Gemeint ist, nicht gleich die ganze Organisation umzuschmeißen, sondern erst einmal hier und dort ein Reporting-System oder ein Monitoring-Tool aufzugeben – was schon schwer genug fällt. Fällt für mich unter kleine Experimente, die man auch nicht sofort einstellen darf, wenn mal etwas schief geht.
Bei jungen Unternehmen, die zu Beginn überhaupt keine derartigen Systeme haben, aber vermutlich rasch die Erfahrung machen, dass es ohne auch nicht geht, besteht das Risiko darin, dass Kontrolle als Eingriff, als Schritt in Richtung klassischer Organisationen verstanden wird, der hehren Vorstellungen von Autonomie und Selbstverantwortung entgegen steht. Auch hier hilf mal wieder REDEN. Gemeinsam überlegen, wie bei risikobehafteten Situationen vorgegangen werden soll. Ob man ein Vier-Augen-Prinzip einführt, ein elektronisches Tool zu Darstellung aktueller Daten und Entwicklungen – warum nicht gemeinsam überlegen, was sinnvoll ist?
Und vor allem: Von vornherein festlegen, wann man sich wieder zusammensetzt und diskutiert, ob das Verfahren sich bewährt hat! Solche Instrumente, wenn sie denn einmal eingesetzt sind, tendieren dazu, als gegeben und unveränderlich angesehen zu werden. Ich habe einmal erlebt, wie in einer kleinen Organisation ein „Stautsbericht“ eingeführt wurde, der sollte dann vor jedem Meeting aktualisiert und besprochen werden. Rasch stellte sich heraus, dass niemand wirklich davon profitierte, aber es dauerte lange, bis das Verfahren in Frage gestellt und wieder abgeschafft wurde.
Der praktische Umgang mit Vertrauen
Was aber, wenn ich als Führungskraft trotz allem befürchte, dass der andere (ob Kollege, Mitarbeiter, Lieferand oder Kunde) mein Vertrauen missbrauchen könnte? Weil ich vielleicht wirklich schlechte Erfahrungen gemacht habe? Hier schlägt Sprenger ein sehr praktisches Verfahren vor: Die Ethik der 2. Chance. Das geht so: Man bietet zuerst Kooperation an. Wenn das gut geht, dann macht man daraus eine Dauereinrichtung. Wenn der andere aber nicht kooperiert, dann wird das konsequent geahndet. Nach einer Weile versucht man es erneut (die 2. Chance) – man bietet wieder Kooperation an. Klappt das wieder nicht, wird die Zusammenarbeit beendet.
Ein einfaches Beispiel: Der Restaurantbesitzer trägt dem Mitarbeiter auf, das Restaurant pünktlich um 12.00 Uhr zu öffnen und bis dahin alle vorgeschriebenen Vorbereitungen abgeschlossen zu haben. Er verlässt sich darauf und taucht nicht unangemeldet kurz vor 12.00 Uhr auf, um das zu kontrollieren. Genauso kommuniziert er es auch (Reden!).
Dann erfährt er eines Tages, dass dieser Mitarbeiter zwar um 12.00 Uhr öffnet, aber häufig so spät am Arbeitsplatz erscheint, dass er viele Vorbereitungen erst startet, wenn schon die ersten Gäste da sind. Entsprechend müssen diese länger warten.
Der Inhaber reagiert konsequent, zieht für nicht geleistete Arbeitsstunden Gehalt ab und erscheint ab sofort selbst unangekündigt vor Ort zur Kontrolle. Und genauso kommuniziert er das auch.
Nach einer Weile bietet er erneut Kooperation an, sprich: Er kündigt an, auf die Besuche wieder zu verzichten und damit erneut einen Vertrauensvorschuss einzuräumen. Klappt das wieder nicht, beendet er das Arbeitsverhältnis.
Wie ernst man das mit der 2. Chance nimmt, ob es also auch angebracht sein kann, eine 3. oder 4. Chance einzuräumen, dürfte von der „Schwere“ des Vertrauensmissbrauchs abhängen und von der Beziehung. Überträgt man das Prinzip auf das Verhältnis Eltern-Kinder, so wird deutlich, dass man abhängig von der Beziehung durchaus bereit ist, auch weitere Chancen einzuräumen. Aber klar ist auch, dass es einen Punkt gibt, an dem man nicht mehr anders kann, sonst verliert man jede Glaubwürdigkeit.
Wobei die Erfahrung zeigt, dass bei sehr klarer und unmissverständlicher Ankündigung des eigenen Vorgehens das Risiko, mehrfach „reingelegt“ zu werden, eher gering ist. Ausprobieren…