INSPIRATION: Ein „Entgelttransparenzgesetz“ soll dafür sorgen, dass die Unterschiede in der Bezahlung von Männern und Frauen abnehmen. Wirkliche Transparenz aber sieht anders aus. Aber auch diese sorgt angeblich nicht für mehr Fairness. Was dann?
Ein langer Artikel in der Wirtschaftswoche liefert dazu am Ende auch keine Antwort, außer der, dass gerechter Lohn eine Illusion bleiben wird (Und was kriegst du?). Das mag sein, wenn man unter „gerecht“ oder „fair“ so etwas wie absolute Gerechtigkeit oder Fairness versteht. Weil in der Tat das, was jemand als Leistung einbringt, nie mit einem einheitlichen Maßstab gemessen werden kann.
Wie soll man auch die vielen Faktoren, die beim Gehalt eine Rolle spielen, gegeneinander gewichten? Was ist mit Loyalität zum Unternehmen, Erfahrung, persönliche Situation, den Lebenshaltungskosten je nach Region? Soll jemand, der eine vergleichbare Tätigkeit in München verrichtet, das Gleiche bekommen wie jemand in Paderborn (z.B. wenn ein Unternehmen in beiden Städten eine Niederlassung hat.) Was ist mit den „weichen“ Faktoren: Ist eine Leistung in „Stückzahlen“ wichtiger und damit wertvoller als eine kollegiale Haltung und stabilisierende Funktion im Team? Und ist letztere überhaupt „bewertbar“? Und welche Rolle spielt der Marktwert, wenn z.B. bestimmte Qualifikationen nur schwer zu bekommen sind?
Weil all das total schwer zu ermitteln und auch nur einigermaßen vergleichbar zu machen ist, versucht man in den meisten Unternehmen, über die Gehälter zu schweigen und sogar den Mitarbeitern zu untersagen, über ihr Gehalt zu sprechen. Angeblich ist in unserer Gesellschaft Geld stärker tabuisiert als Sex, aber damit soll es allmählich vorbei sein. Allerdings wird das erwähnte Gesetz daran wohl nicht viel ändern. Es schreibt nämlich nur vor, dass man das Recht hat, über das Durchschnittsgehalt einer Vergleichsgruppe informiert zu werden. Wobei schon die Definition der Vergleichsgruppe schwerfallen dürfte.
Die Idee ist, dass Mitarbeiter erfahren, wo sie im Vergleich zu anderen stehen und dann bei Gehaltsverhandlungen bessere Argumente haben. Auf diese Weise hofft man, verschwinden irgendwann die Unterschiede in der Bezahlung zwischen Männern und Frauen. Was der Kollege im Nachbar-Büro verdient, erfährt man hier aber nicht.
Das sieht in einigen Unternehmen, die da deutlich experimentierfreudiger sind, schon heute anders aus. Ich habe kürzlich ein Webinar gesehen (sehenswert!), bei dem vorgestellt wurde, wie ganze Teams sich über die Gehälter der Mitglieder ausgetauscht haben und die Ergebnisse in die Gehaltsfindung einfließen. Kann das auf Dauer funktionieren?
In dem Beitrag der Wirtschaftswoche wird von einem ähnlichen Experiment beim Unternehmen „Mensch und Maschine“ berichtet, das wohl ziemlich erfolgreich war. Aber als das Unternehmen wuchs, wurde die Sache kompliziert, der Gründer hat sich später von der Idee verabschiedet und hält die Transparenz bei größeren Unternehmen für „nicht mehr umsetzbar„.
In der Tat, das wird schwierig. Denn was passiert, wenn man erfährt, was der Kollege genau verdient? Bei denjenigen, „die unterdurchschnittlich bezahlt werden, klaffen trotz offener und nachvollziehbarer Krieterien emotionale Wunden.“ Wirklich? Ist das nicht auch heute schon so? Fühlen sich nicht viele Menschen unterbezahlt? Und liegt das daran, dass heute ständig über die Gehälter von Top-Managern berichtet wird, dass ständig Gehaltstabellen veröffentlicht werden? Wäre es besser, man würde grundsätzlich jede Information über die Höhe von Entlohnung untersagen? Die Preisgelder, die Sporter erhalten, einer strengen Geheimhaltung unterwerfen?
Ich denke, das Gegenteil ist richtig. Es muss viel mehr geredet werden. Genau das ist es aber, was so schwer ist. Dann muss man nämlich zugeben, dass es nie absolut gerecht zugeht, aber es dennoch gute Gründe gibt, den Kollegen so zu bezahlen, wie er bezahlt wird und diese Gründe auch klar kommunizieren. Nicht der Vergleich mit dem Durchschnitt ist entscheidend, sondern der Vergleich mit denjenigen, mit denen sich der jeweilige Mitarbeiter vergleicht. Wenn Arbeitgeber und Führungskräfte diese DIfferenzen nicht erklären können und deshalb lieber Redeverbot erteilen, dann haben sie in der Tat ein Problem.
Dass so etwas in größeren Unternehmen schwieriger wird, ist klar. Wie man das hinbekommt, weiß ich auch nicht. Aber sollte es wirklich unmöglich sein? In Schweden, so heißt es hier, kann sich jeder Bürger über das Gehalt seines Nachbarn informieren, und bekanntlich sind die Schweden ein glückliches Volk. Also haben wir hier ein deutsches Problem? Kann ich mir nicht vorstellen…