KRITIK: Ich habe mal nachgeschaut: Den ersten Artikel zu dem Thema Skill-Management haben wir bei MWonline 2006 besprochen. Damals lautete der Traum des Personalers schon, die Fertigkeiten der Mitarbeiter zu beschreiben, zu messen und zentral zu steuern. Der Traum lebt – aber sind wir wirklich weiter gekommen?
Der Ansatz ist der alte, nur wird er heute natürlich geschickter begründet. Die Digitalisierung ist fortgeschritten, neue Herausforderungen werden offensichtlich, Stichwort Klimawandel. Mitarbeiter müssen „reskilled“ (früher sagte man „umgeschult“) oder „upskilled“ (das hieß mal „Weiterbildung“) werden. Angeblich werden bis 2025 sage und schreibe 97 Millionen neue Jobprofile weltweit entstehen, die Beschäftigten sollen bis zu 40% ihrer heutigen Kompetenzen verändern müssen.
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Was hat das mit „Skill-Management“ zu tun? Der Ansatz ist der folgende: Man beschreibe die benötigten Fertigkeiten, versehe sie mit einer Bewertungsskala, speichere sie je Mitarbeiter zentral in einem System und hat damit den Überblick über sämtliche im Unternehmen vorhandenen Skills. Damit kann man, wenn sich die Anforderungen ändern (z.B. wenn neue Maschinen angeschafft werden oder eine neue Software oder eine gänzlich neue Technik Einzug hält, wie Elektromotoren in der Automobilindustrie), die „Skill-Gaps“ erfassen und entsprechende „Reskilling-“ oder „Upskilling-Programme“ entwickeln. Natürlich je nach Bedarf entweder zum Selbststudium, direkt am Arbeitsplatz oder auch in Präsenz über entsprechende Kurse. Funktioniert das wirklich?
Reskilling- oder Upskilling-Programme
Schauen wir uns drei Beispiele an, die uns die Zeitschrift Personalführung bietet. Bei Henkel arbeitet man mit einer „Bibliothek von ca. 3.500 fachspezifischen und übergreifenden Skills.“ Daraus haben die Personaler „Skill-Sets für 450 Kernprofile festgelegt“ (Digitales Kompetenzprofil bei Henkel). Nun soll jeder Mitarbeiter mindestens zehn Kompetenzen aus den Vorschlägen auswählen, entscheiden, welche er weiterentwickeln will und sich auch von Kollegen Referenzen zu diesen Kompetenzen einholen. Hier setzt man also darauf, dass die Mitarbeiter ihre Profile selbst pflegen (so wie z.B. bei Linkedin). Irgendwann soll ihnen dann zielgerichtetes Reskilling oder Upskilling angeboten werden auf Basis der dokumentierten Skills.
Und gleichzeitig hat damit das Unternehmen, sprich der Personaler, einen Überblick über die vorhandenen Skills, das hilft bei der Nachfolgeplanung, internen Stellenbesetzungen und Job-Rotationen. All das ist noch in den Kinderschuhen und soll 2023 im ganzen Unternehmen ausgerollt werden. Gab es aber schon vor 10 Jahren: Skill-Management für alle.
Bei Bosch ist man da etwas schneller (Im Skill-Management alle Möglichkeiten nutzen). Offensichtlich ist dort der Druck auch höher, denn viele Tätigkeiten entfallen und dafür entstehen jede Menge neue. Man kann gar nicht anders als Menschen umzuschulen, z.B. Maschinenbauer zu Software-Entwicklern. Dazu werden eine Reihe von Lehrgängen angeboten, parallel werden die Betroffenen schon an ihren neuen Arbeitsplätzen eingesetzt. Das klingt aufwändig, aber sehr strukturiert. Auch hier setzt man auf Software, über die Mitarbeiter ihre Fähigkeiten eingeben sollen. Der Rollout soll in diesem Jahr starten.
Bei Continental klingt das etwas anders (Das Continental Institut für Technologie und Transformation). Hier baut man bei der Erfassung von Skills auf ein „computergesteuertes Self-Assessment“ sowie das klassische Entwicklungsgespräch, das mehrmals im Jahr durchgeführt werden soll und in dem auch die aktuellen Skills bewertet werden. Habe ich woanders vor über 20 Jahren erlebt, ist damals nach hohem (Berater-)Aufwand wieder eingeschlafen.
Bei der HAI-Gruppe (Hybride Lernprozesse auf dem Shopfloor) hatte HR ebenfalls das Bedürfnis, die Skills zukünftig zentral einzusehen. Bis dahin gab es offenbar schon Excel-Tools, in denen die Führungskräfte die Fertigkeiten ihrer Mitarbeiter bewerteten, aber das lief wohl alles eher dezentral ab. Nun hat man in einem Piloten die Skills von Mitarbeitern in der Gießerei erfasst und zur Bewertung drei Ausprägungsstufen eingeführt (basic / advanced / expert). Damit die Führungskräfte das auch richtig machen, bekommen sie ein „Bewertungssheet“ an die Hand, wo die einzelnen Levels noch mal genau beschrieben werden. Auf diese Weise erfasst man nun die Skills in einem einzigen System und erhofft sich eine objektivere Bewertung. Vor allem aber: Die Personalabteilung hat endlich den Überblick und kann feststellen, welche Skills noch fehlen, z.B. für den nächsten Gehaltssprung. Also ein Tool nicht nur zu Entwicklung, sondern auch zur Gehaltsfindung.
Ich bin ein wenig erschüttert. Das klingt so altvertraut, nur das jetzt alles digitalisiert ist. Nach wie vor glauben die Personaler an die Idee, Menschen vermessen zu können. Sicher – das Angebot, sich ein Skill-Profil anzulegen und darüber Anregungen für die eigene Entwicklung zu bekommen, könnte eine sinnvolle Sache sein – ich bin aber gespannt, was passiert, wenn der Personaler feststellt, dass es nicht wie erhofft genutzt wird. Oder wenn die Angaben den Hoffnung, einen Überblick über alle im Unternehmen vorhandenen Fertigkeiten zu bekommen, nicht erfüllen.
Was die Einschätzungen durch Führungskräfte betrifft, sehe ich nicht, warum das besser funktionieren sollte als die Versuche vor 25 Jahren, wo man per Bewertungsbogen Kompetenzprofile erstellte und diese in der Personalakte ablegte. Wie es aussieht, stehen die Unternehmen in allen Beispielen gerade am Anfang. Mal wieder …