KRITIK: Irgendwann wundert man sich über nichts mehr. Zum Beispiel darüber, dass es ein Buch auf die Titelseite einer Zeitschrift schafft, die ich bisher für einigermaßen seriös gehalten habe. Es geht um den Titel “Mut zur Macht”. Darin wird beschrieben, wie ein Stanford Professor seinen Studenten die (Wirtschafts-)Welt erklärt.
Die Rede ist von Jeffrey Pfeffer und seinem Buch “7 Rules of Power“. Der Inhalt lässt sich offenbar auf zwei Seiten zusammenfassen, ich versuche es noch kürzer. Vergessen Sie alle Empfehlungen, bei denen es um Demut und Bescheidenheit, um Empathie und Verletzlichkeit oder gar Authentizität geht. Wenn Sie nach oben wollen und auf dem Weg dorthin nicht in Fettnäpfchen treten möchten, dann sollte Ihnen Folgendes bewusst sein: Der Mensch ist ein Herdentier, deshalb akzeptiert er Hierarchien. Diese wird es immer geben, das Gerede von Selbstorganisation ist Unsinn. Menschen wollen natürlich ganz oben in der Befehlskette stehen. Wer es dorthin geschafft hat, ist ein Gewinner, und Menschen mögen Gewinner. Nur sind die Plätze dort oben rar, also hier die wohl wichtigste Regel: Auch wenn Sie noch keine Macht haben, tun sie so als ob. Denn es kommt vor allem auf den Schein, den Habitus an.
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Wenn der Zweck alle Mittel heiligt
So geht es dann fröhlich weiter: Betreiben Sie viel Eigenwerbung, sorgen Sie dafür, dass andere positiv über sie reden, netzwerken sie unablässig, brechen Sie hin und wieder eine Regel, das tun mächtige Leute nämlich. Und vor allem: Haben Sie keine Skrupel, der “Erfolg entschuldigt fast alle Tricks“. Das wird mit Umfragen begründet, nach denen es 74% der befragten Vorstände in Ordnung finden, die Mitarbeitenden über ihre wahren Aufstiegschancen zu belügen, sonst würden diese die Arbeit niederlegen.
Im Interview (“Macht ist ein Werkzeug“) wird es richtig bitter: Die Realität lehrt uns diese Regeln, sie spiegeln das wahre Leben wieder. Hier werden dann allen Ernstes Elon Musk und Jeff Bezos genannt, und, man fasst es nicht, auch Trump und Putin. Diese “Führungspersönlichkeiten“ leben uns die Regeln der Macht vor. Noch so ein schöner Satz: “Betrug hält unsere Welt in Schwung“ – er soll von Adam Grant stammen. Na, das mit dem Schwung stimmt sicher, bezogen auf Trump und Putin.
Und alle Konkurrenten ausgeschaltet sind
Einmal oben angekommen, gilt es, die Position zu sichern. Also erst mal die Führungsriege des Vorgängers entsorgen, dann hat man keine Gegner mehr. Und keine Sorge – all das wird einem verziehen, wenn man damit Erfolg hat. Vermutlich sogar auch ohne Erfolg, denn wer kritisiert schon denjenigen, der es bis an die Spitze geschafft hat? Was nicht ganz dazu passt ist die Erkenntnis, dass wahre Leader sich laut Jim Collins durch Bescheidenheit, Entschiedenheit, Zurückhaltung, Härte und fehlende Starallüren auszeichnen. Das, so Pfeffer, können sie sich erst erlauben, wenn man oben angekommen ist und alle Konkurrenten ausgeschaltet hat.
Bemerkenswert, wie oft der Professor betont, dass seine Erkenntnisse auf wissenschaftlichen Forschungsergebnisse basieren. Während es für die Behauptung, überall würden Hierarchien abgebaut, keinerlei Evidenz gibt. Auch die Geschichte mit der transformationalen Führung sei Quatsch, das hätten angeblich zwei skandinavische Forscher bewiesen.
Ich glaube, niemand bezweifelt, dass in vielen Organisationen Tricksen, Betrügen, Lügen und Regelbruch den Aufstieg begünstigen, das hat Mario Puzo in „Der Pate“ schon gezeigt, dafür braucht es nicht noch mehr Bücher. Und vor 400 Jahren hätten „Wissenschaftler“ wie Pfeffer vermutlich auch behautet, es gebe keinerlei Belege dafür, dass Demokratie funktioniert und Herrscher mit Demut und Bescheidenheit lediglich Ausnahmen von der Regel darstellen.
Wenn das nicht satirisch gemeint ist und die Kollegen der wirtschaft + weiterbildung darauf hereingefallen sind: Diesen Blödsinn lässt eine Universität ihren Studierenden vermitteln? Wie bitter ist das denn? Vermutlich gibt es dann zum Ausgleich Ethikkurse. Das Buch, so viel steht fest, werde ich sicher nicht lesen.