GLOSSE: Der Laie tut sich in der Regel schwer mit der Juristerei, weil sie zumeist nicht mit dem Alltagsverständnis harmoniert. Aber was wären wir ohne sie? Klarstellung tut not: Rentenversicherungspflichtig als Coach?
Dass ich das auf meine „alten Tage“ noch erleben darf … Das Coaching-Magazin bringt, 18 Jahre nachdem ich es zusammen mit Christopher Rauen gegründet habe, einen Beitrag zum Thema Rentenversicherungspflicht von Coaches. Das wurde ja mal Zeit … sozusagen pünktlich zu meinem Renteneintritt. Ich amüsiere mich köstlich …
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Und der Beitrag des Autorenduos ist auch (keine Satire!) richtig gut – im Gegensatz zu den Ausführungen, die ich zumeist zur (versucht, aber selten gelungenen) Kontroverse Psychotherapie vs. Coaching lesen muss. Vielleicht liegt es daran, dass der eine Teil des Duos ein Professor für Sozialrecht und der andere eine Kommunikationspsychologin ist?
Von allgemeinen Normen hin zum konkreten Fall
Laien hadern oft mit der Juristerei. Dabei ist es gar nicht so schwer mit ihr. Man muss sich bloß einmal in die Art und Weise hineinversetzen, wie Juristen denken. Das sollte die Empathie-Fähigkeit eines Coaches wohl nicht überstrapazieren, oder? Der Jurist denkt deduktiv: Von allgemeinen Normen hin zum konkreten Fall.
Ich erlaube mir einmal den (gefährlichen) umgekehrten, induktiven Weg: Ist ein selbstständig am Markt operierender Coach rentenversicherungspflichtig? Die Antwort würde lauten: In der Regel nicht – es sei denn … Tja, um zu erklären, warum ich mit dieser Formulierung vermutlich aus dem Schneider bin, muss ich dann doch wieder vorne anfangen. Es sei denn – juristische Norm: Schutzbedürftigkeit – sie ist Arbeitnehmerin/Beschäftigte. Dann ist sie immer rentenversicherungspflichtig. Zweite Einschränkung: Er ist scheinselbstständig. Auf dieses Thema, das derselben Norm (Schutzbedürftigkeit) entspringt, geht das Autorenduo nicht ein. Vielleicht gibt es demnächst eine Fortsetzung dazu?
Lehrtätigkeit
Doch da baumelt für die Selbstständigen noch ein (weiteres) scharfes Damoklesschwert überm Kopf: Die Lehrtätigkeit. Da Coaching nicht klar definiert ist, könnte man vermuten, dass Coaching und Training ein und dasselbe wären, und deshalb eine Rentenversicherungspflicht bestünde – wie für Lehrer (seit über 100 Jahren). Dem ist aber nicht automatisch so. Denn die Tätigkeitsbezeichnung ist nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entscheidend. Versicherungsrechtlich entscheidend ist die Art und Weise einer Wissensvermittlung. „Das Gegenbild zur Lehrtätigkeit verortet das Bundessozialgericht (BSG) in der sogenannten ‚Beratung‘.“
Beratung
Konkret: Wer im Einzelcoaching eine Vorlesung über Führung „an und für sich“ hält, wäre rentenversicherungspflichtig. Wer aber sein Wissen auf eine konkrete Handlungssituation anwendet – das wäre jetzt einen Exkurs zum Thema Professionalisierung wert, oder gibt es dazu demnächst im Coaching-Magazin eine Fortsetzung? (Schneller: Training vs. Coaching – über Aporien in der Professionalisierungsdiskussion) – der ist Berater. Selbst wenn er oder sie auch (!) Wissen vermitteln … (Ich antizipiere tiefes Durchatmen im Publikum).
Was wiederum – unter dem Motto „Kill Your Idols“ (nicht ganz mein Musikgeschmack, aber gut genug für ein beiläufiges Zitat) zu einem Exkurs zum Thema Experten- vs. Prozessberatung animieren könnte (Coaching als professionelle Dienstleistung). Was hat sich die Branche doch um solche schrägen Slogans wie „Beratung ohne Ratschlag“ oder „Hilfe zur Selbsthilfe“ bemüht und verrenkt, ohne die Sache auch nur annähernd stimmig zu klären: Ein bisschen juristisches Wissen – und schon ist der Drops gelutscht! Aber aufgepasst, Lehrer:innen: Bloß nicht zu konkret den Schüler:innen Hilfestellungen für das eigene Leben „da draußen“ geben. Denkt an die Rente …!! Ach so, ich vergaß, die sind ja in der Regel angestellt oder verbeamtet: „Die Rente ist sicher“ (Norbert Blüm).
Gruppen-Coaching
Jetzt wird’s aber noch mal haarig: Die Individualität, die Beratung ausmacht, gerät in Gefahr, wenn man standardisierte Kursangebote macht wie im Fitness- und Gesundheitsbereich. Yoga-Lehrerinnen beispielsweise sind nach Lage der Rechtssprechung rentenversicherungspflichtig. Führungstrainer, die nur Modelle und Theorien dozieren, wären dies dito: Und Persönlichkeitstypologen, ob sie nun Selbstgestricktes oder Wissenschaftliches vorstellen, meines Erachtens auch; es sein denn … Sie ahnen, worauf ich hinauswill? Es kommt auf den konkreten Leistungsinhalt an.
Und Gruppen-Coaching? Supervision? Ist keine Lehre, wenn es um konkrete Fälle geht, wenn die Gruppenmitglieder auch coachen oder mittels ihrer Kompetenz ihren Anteil zur Supervision beitragen, es also um Erfahrungsaustausch geht. Es fehlt aber bislang offenbar eine harte Kennzahl, ab welcher Gruppengröße die Prüfer der Deutschen Rentenversicherung (DRV) misstrauisch würden …
Was aber zuletzt als sogenanntes Online-Coaching im Netz viral ging, wir erinnern uns: Jan Böhmermann …, wäre – auch wenn das Autorenduo darauf nicht ein geht – weil gar nicht individualisiert, rentenversicherungspflichtig! Aber noch viel gravierender: Solche Angebote sind sogar erlaubnispflichtig! Der Online-Coach braucht eine Zulassung gemäß § 12 FernUSG (Fernunterrichtsschutzgesetz) von der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU). Da hagelt es offensichtlich in letzter Zeit Klagen (Unseriöse Online-Coachings). Und die sogenannten Coaches müssen ordentlich Federn lassen, also vor allem finanzielle. Die leidgeprüfte Branche der seriösen Coaches („die Guten“) bekommt Schützenhilfe von unerwarteter Seite. – Wofür Juristen doch (auch) gut sind …
Fazit
Selbstverständlich könnte man noch etliche spitzfindige Fragen aufwerfen. Aber ich will auch nicht das Abendesssen verpassen. Vielleicht sind es die von kreativer Energie getriebenen Praktiker:innen, die sich so schwer tun, sich mit der an und für sich so klaren und reinen juristischen Theorie anzufreunden. Sie lässt sich nach Meinung der Autoren auf zwei Maxime eindampfen:
- Maßgeblich ist die tatsächliche Art der Leistung. Es muss um eine „individualisierte Entwicklung von Lösungen für konkrete Probleme“ gehen.
- Eine Wissensvermittlung muss der Lösungsentwicklung „untergeordnet“ sein. Sie darf nicht bloß abstrakt erfolgen.
Das wären – meine Übersetzung – die beiden Bestimmungsstücke von Dienstleistung (adaptives Handeln und Koproduktion – als inhaltliche Dimension), wie sie Nerdinger in seinem Konzept der „Psychologie der Dienstleistung“ (Dienstleistungstätigkeiten) so treffend beschreibt. Zur sozialen, der anderen Dimension der Dienstleistung sagt das Autorenduo nichts. Na ja, ich überspringe mal einen spontanen, sich als Erklärung aufdrängenden Gedanken und gehe zum zweiten über: Es ist ja auch nicht einfach, „gute Beratung“ juristisch zu fordern. Das kann man auch dem Markt überlassen. Oder: Wofür Psycholog:innen doch (auch) gut sind …
So bliebe dann zum Schluss nur noch individuell zu entscheiden, wie man als Coach seine Altersversorgung regeln möchte. Wenn man nicht auf die staatliche Rentenversicherung bauen möchte, die man als Pauschale ohne Einkommensnachweis (sogenannter Regelbeitrag) derzeit in Höhe von 696,57 Euro monatlich als „Sparplan zeichnen“ kann. Oder sich auf die Sozialhilfe nach SGB XII verlassen möchte. Blieben noch die Varianten: Sich in der Ausübung seiner Kompetenz angemessen gut honorieren zu lassen, damit man anderweitig entsprechend fürs Alter vorsorgen kann. Oder … (bis ins hohe Alter) weiterarbeiten. Unser einer soll ja mit zunehmenden Alter immer besser werden, habe ich mal gehört. Dazu könnte mir prompt eine Geschichte einfallen … aber Rentner sind ja kurz angebunden, die haben nie Zeit. Soll ich jetzt wirklich mit dem Verweis auf Udo Lindenberg enden? Och, warum eigentlich nicht: Der Greis …