KRITIK: Da stehen die Kollegen von der Personalentwicklungsabteilung vor einem Problem. In Zeiten, in denen die Mitarbeitenden immer häufiger nur noch selten in der Firma auftauchen und wenn, dann zu sehr unterschiedlichen Zeiten, tun sich Führungskräfte schwer, Talente außerhalb der eigenen Teams zu erkennen. Es fehlt der persönliche Kontakt, so droht die Gefahr, dass Menschen, die weniger sichtbar sind, „unter dem Radar bleiben“.
Was also tun, um die interne Pipeline mit Talenten zu füllen? Schließlich muss man für wichtige Schlüsselpositionen die geeigneten Fach- und Führungskräfte vorhalten, denn es ist ja viel sinnvoller, diese intern zu suchen als von außerhalb zu rekrutieren. Bei der Storch-Cioret-Group kamen die Personalentwickler auf eine bahnbrechende Idee: Dort können nun nicht mehr nur Führungskräfte die geeigneten Kandidaten nominieren, sondern auch die Kolleg*innen. Denn diese erleben sich gegenseitig unmittelbarer, daher können sie auch die Stärken der anderen besser einschätzen (Eine Lanze für die Demokratie).
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Die Peers kennen sich aus
Mit der Idee machten sich die Personaler ans Werk und stellten sich die Frage, wie das Ganze nun fair und objektiv ablaufen könnte. Damit die Nominierungen „fundiert und qualitativ hochwertig“ ablaufen, bekommen die Mitarbeitenden einen Fragebogen an die Hand mit klaren und nachvollziehbaren Kriterien. Er besteht aus geschlossenen und offenen Fragen zur Leistung als auch zum Potenzial für weiterführende Rollen. Warum geschlossene Fragen? Na, damit man die Ergebnisse auch vergleichen kann, so also herausfindet, wer mehr oder weniger geeignet ist.
Offenbar war dieser Fragebogen zu kompliziert und brauchte zu viel Bearbeitungszeit, also wurde er überarbeitet. Der Leser fragt sich an dieser Stelle, wie denn wohl die Führungskräfte zuvor die „Talente“ identifiziert hatten – ohne Fragebogen?
Neben dem Ziel, die „unsichtbaren Talente“ zu entdecken, will man mit dem Verfahren auch die Feedbackkultur stärken. Zugleich geht es darum, die Mitarbeitenden zu empowern – sowohl diejenigen, die nominieren dürfen, fühlen sich gewertschätzt als auch diejenigen, die nominiert werden – so etwas motiviert und baut auf.
Was danach passiert, wissen wir nicht. Es gibt wohl ein „Talentprogramm“, an dem die Nominierten teilnehmen – über solche Programme haben wir uns schon häufiger ausgelassen (Der Fluch der High Potentials). Oft findet dabei ja noch ein vorgeschalteter „Test“ in Form von Assessment Centern statt. Oder reicht es hier, dass ein Kollege von den anderen „nominiert“ wird? Kann jeder jeden nominieren und wenn ja, darf dann jeder Nominierte an dem Programm teilnehmen? Schwer vorstellbar.
Was hat das mit Demokratie zu tun?
Ganz einfach: Hier wird betont, dass jede Stimme gleich viel zählt. Ob also eine Führungskraft oder eine Kollegin jemanden nominiert, spielt keine Rolle. Das ist in der Tat neu. Es geht also weiter mit den Goldfischteichen, die der Personalentwickler so liebt. Und die er nun mit anderen Mitteln füllt (Selbstnominierung).
Es erinnert irgendwie an das Prinzip der offenen Wahl in der Soziokratie (Wertschätzungswüste). Dabei werden Rollen und Aufgaben nicht durch die Führungskraft vergeben, auch nicht dadurch, dass sich Freiwillige melden, sondern die Teammitglieder sagen, wem sie die Aufgabe zutrauen und warum. Der Unterschied zu dem beschriebenen Verfahren: Hier geht es um konkrete Aufgaben, die zu erfüllen sind. Da tut es schon gut zu hören, was andere einem zutrauen. Bei der Nominierung für ein Talentprogramm mag das am Anfang auch so sein, aber es wäre spannend zu erfahren, welche Nebenwirkungen auftreten. Vermutlich werden wir das nicht zu lesen bekommen.