INSPIRATION: Als ob es noch eines weiteren Belegs bedurft hätte: Personaler, auch solche mit Erfahrung, lassen sich vom Bewerbungsfoto beeinflussen, und das auch bei Stellen, bei denen es auf das Aussehen sicher nicht ankommt. Aber was helfen alle Belege, wenn sich doch nichts ändert?
Uwe Peter Kanning beklagt unermüdlich die mangelnde Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Personalwesen und legt hier eine neue Studie vor, die sich mit der Einschätzung von Bewerbungsfotos beschäftigt (Fotos bei Bewerbungen: Auch viel Erfahrung schützt nicht vor Urteilsfehlern). Dabei legte man 418 Personen, von denen fast die Hälfte Erfahrung in Sachen Personalauswahl hatte, einen fiktiven Lebenslauf sowie farbige und schwarz-weiße Bewerbungsfotos vor und ließ sie berufsrelevante Eigenschaften einschätzen. Diese analysierte man faktorenanalytisch und kam auf zwei Eigenschaftsbereiche: Sozialkompetenz und Leistungsfähigkeit.
Dann sollten die Probanden zwei Fragen beantworten: Würden Sie den Bewerber zum Einstellungsgespräch einladen? Würden Sie den Bewerber nach einem Einstellungsgespräch vermutlich einstellen? Das sagt zwar jetzt noch nichts darüber aus, ob der Bewerber dann auch wirklich eingestellt würde, aber legt zumindest den Verdacht nahe, dass diese Vorab-Entscheidung den Gesprächsverlauf in der vermuteten Richtung beeinflussen würde, sprich: Der Interviewer wird voraussichtlich Belege für seine vorgefasste Meinung sammeln.
Die erlebte Attraktivität
Schließlich, erst im letzten Schritt, sollten die Probanden die Kandidaten hinsichtlich ihrer erlebten Attraktivität beurteilen. All das geschah online, die Teilnahme war freiwillig, die Probanden wurden in privaten und berufsbezogenen Netzwerken akquiriert.
Das Ergebnis fiel wie erwartet aus: Weniger attraktive Bewerber werden zu 80% eingeladen, attraktive Bewerber zu 91%. Vermutlich eingestellt werden von den weniger attraktiven Kandidaten nur 52%, von den attraktiven hingegen 72%.
Ziemlich beeindruckend: Die weniger attraktiven Bewerber wurden auch signifikant schlechter in Sachen Sozialkompetenz und Leistungsfähigkeit eingeschätzt. Kleiner Hinweis für Bewerber: Lieber keine Schwarz-Weiß-Fotos verwenden, denn diese verschlechtern Ihre Bewertung in Sachen Sozialkompetenz zumindest leicht.
Und ebenso bemerkenswert: Menschen mit Erfahrung in Sachen Personalauswahl sind insgesamt strenger in ihrem Urteil, aber sie lassen sich genauso vom Foto beeinflussen wie Laien auf diesem Gebiet. Auch das ist ja nicht neu.
Und nun?
Eine bekannte Forderung: Verzichten Sie auf Bewerbungsfotos, indem Sie Bewerber ausdrücklich dazu auffordern, keine Fotos zu senden oder indem Sie die Fotos vor der Sichtung entfernen lassen. Und wenn Sie das nicht möchten oder können (weil z.B. das Aussehen bei dem Job eine Rolle spielt), dann erstellen Sie wie bei anderen Merkmalen auch hier klare Kriterien, welche Anforderungen das Aussehen erfüllen sollte. Wobei Sie zwischen den Merkmalen, die sich verändern lassen, und den unveränderlichen Merkmalen unterscheiden sollten.
Aber selbst wenn man so vorgeht – irgendwann sitzt der oder die Kandidatin ja vor einem. Und dann? Der Tipp ist bekannt: Die eigene Meinungsfindung kritisch hinterfragen, sich der Fehleranfälligkeit durch das Aussehen bewusst werden. Und für die Auswahl klare Kriterien erstellen, was den Effekt der Diskriminierung verringern kann.
Und warum schlägt niemand vor, das Interview erst mal ohne echten Sichtkontakt zu führen? Kein Foto plus Telefon-Interview, oder gar den Kandidaten hinter einen Schirm setzen. Klar, das wäre tatsächlich sehr gewöhnungsbedürftig. Aber was ist denn schlimmer: Einen geeigneten Kandidaten wegen seines Aussehens abzulehnen oder Kandidaten erklären zu müssen, dass man sich ein Urteil unabhängig vom Äußeren bilden möchte? Gibt es Unternehmen, die so vorgehen?