PRAXIS: „Sie sind doch Psychologe – was kann ich tun, wenn mich jemand nur noch anschweigt?“ Manchmal ist es extrem angenehm, mit Menschen zusammen zu sein, die eher zu wenig als zu viel reden. Wenn jemand aber das Sprechen völlig verweigert (auch „toxisches Schweigen“ oder „Silent Treatment“ genannt), wird es schwierig. Wobei das gewiss harmlos ausgedrückt ist. Die meisten von uns werden an Situationen aus der Kindheit erinnert: Eltern kennen und nutzen nicht selten Schweigen als Bestrafung, was massive Ängste und Ohnmacht bei Kindern auslösen kann, und diese melden sich sofort, wenn man plötzlich wieder vor der Situation steht.
In der Regel wissen oder ahnen wir, warum der andere plötzlich beharrlich schweigt. „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Irgendetwas hat ihn verletzt, gekränkt oder gar beleidigt. Und wir vermuten, welche unserer Äußerungen diese harte Reaktion ausgelöst hat. Denn das ist sie: Hartnäckiges aggressives Schweigen ist totale Kommunikationsverweigerung und nach kurzer Zeit schwerer zu ertragen als Nörgeln oder verbale Attacken. Gegen diese kann man sich wehren – aber wie setzt man sich dagegen zur Wehr, wenn der andere gar nichts tut?
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Tipp zum Umgang: Sprachlosigkeit unterstellen
Aber der Reihe nach. Der erste Tipp wäre, dem anderen erst einmal Sprachlosigkeit zu unterstellen – gar nicht Böswilligkeit. Diese Haltung fördert ein auf Verständnis basierendes Gespräch, das für eine gesunde Kommunikation in der Beziehung entscheidend ist. Ihm oder ihr fehlen einfach die sprachlichen Mittel, um das mitzuteilen, was sie empfinden bzw. was sie beschäftigt. Was wiederum bedeutet, dass es sich lohnt, denjenigen anzusprechen: „Ich habe dein Schweigen bemerkt und habe eine Ahnung, warum du gerade nicht mit mir redest. Mich beschäftigt das und ich würde gerne etwas tun, um zu unserem gewohnten Miteinander zu kommen…“ Offene Kommunikation hilft in vielen Fällen den Konflikt in der Beziehung mildern.
Das Gespräch wird weiterhin verweigert
Aber nicht schon beim ersten Versuch aufgeben. Je nachdem, wie tief die Kränkung sitzt, kann der andere sich auf das Angebot (noch) nicht einlassen. Kränkungen sind „psychologische Großmächte“, die sich nicht mal so eben in Luft auflösen. Wenn die andere noch nicht so weit ist, wird sie ausweichen und z.B. vorgeben, im Moment keine Zeit zu haben. Sicherlich, das fühlt sich wie eine Zurückweisung an und schmerzt, vor allem, wenn schon das Ansprechen Überwindung gekostet hat. Aber es hilft nichts: Wenn der andere weiter mit Schweigen reagiert, muss ein zweiter Versuch her: „Ich hatte dich ja schon mal angesprochen, offenbar fällt es dir immer noch schwer, mit mir zu reden. Ich würde das gerne klären. Wann passt es dir?“
Spätestens jetzt dürfte es jemandem, der uns nicht wirklich Böses will, schwerfallen, sein Verhalten aufrechtzuerhalten. Was aber, wenn doch? Dann gibt es noch Stufe 3: Sie bitten ihn, selbst einen Zeitpunkt festzulegen: „Okay, du bist immer noch nicht so weit. Ich fühle mich machtlos. Deshalb meine Bitte: Melde du dich, wenn du bereit bis, mit mir zu sprechen. Ich habe Geduld, auch wenn es mir schwerfällt, abzuwarten.“
Toxisches Schweigen – Aggressivste Form der Kommunikation?
Wie lange Sie abwarten, hängt von Ihrem Gemütszustand ab. Die Gewissheit, selbst alles getan zu haben was möglich ist, könnte schon helfen, eine Weile durchzuhalten. Aber irgendwann wird ein Punkt erreicht sein, an dem Sie diese Bereitschaft nicht mehr aufbringen wollen. Wo klar ist, dass der andere Schweigen als passiv-aggressive Form der Kommunikation nutzt, um seine Macht auszuspielen, Sie Ihre Abhängigkeit spüren zu lassen.
Dann würde man von „Silent Treatment“ sprechen, und hier wird es heikel. Sie sollten damit genauso umgehen wie mit verbaler Gewalt bzw. Mobbing. Wer dieses Mittel häufiger und anhaltend einsetzt, will Gewalt ausüben und Macht über Sie erlangen. Toxisches Schweigen in der Partnerschaft oder im beruflichen Umfeld ist ein Grund zur Trennung, so bitter sich das auch anfühlen wird. Wenn Sie den Schritt nicht aus eigener Kraft gehen können, suchen Sie sich einen Coach oder Therapeuten.