KRITIK: „Gelerntes altert immer schneller und wird damit wertlos.“ Ach, wirklich? Jedes und alles? Und warum? Ich kratze mich am Hinterkopf. Will mich da jemand auf den Arm nehmen? Oder ist das bloß eine Satire?
Der Beitrag der Autorin (Lernen als Reise) beginnt mit einer Lobeshymne auf eine sogenannte KI namens Ally: „Sie weiß, was ich schon kann und wo ich noch besser werden sollte, um meinen nächsten Karriereschritt vorzubereiten.“ Ich glaube, die Autorin hat sich im Namen vertan, es müsste richtig Nanny heißen. Oder noch drastischer: Ein brutales Abrichten – der radikale Behaviorist Skinner nannte das Konditionieren und schwärmte von einem Leben in einer geplanten Gesellschaft, nachzulesen in seinem Roman „Walden Two“ – können wir uns sparen. Ich liebe die große Schwester!
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„Bedarfsgerechtes und effektives Lernen in Organisationen“ ist das Ziel der Autorin. Und neben KI braucht es ihrer Meinung nach dafür zudem „ein hohes Maß individueller Lernkompetenz“ sowie „eine Neupositionierung des betrieblichen Bildungsmanagements“. Denn Letzteres ist für die neue Zeit schlecht aufgestellt: „Starre Trainingsprogramme, vorgegebene Inhalte, Belehrungsdidaktik und formalisierte Lernangebote“.
Pauschalkritik auf Stammtischniveau
Was muss sich jetzt ändern? Na, der Fokus natürlich! „Statt von der Weiterbildner-Perspektive und den Interessen des Unternehmens auszugehen, müssen dabei die Sicht der Lernenden, ihre Interessen und Erfahrungen stärker beachtet werden.“ Ich gebe gerne zu, das relativierende „stärker“ ist mir – an dieser Stelle – nicht entgangen. Doch im Folgenden hat sich die Perspektive schon um 180 Grad verschoben und die Relativierungen wollten sich mir nicht mehr zeigen. Es ist nun nicht mehr die Rede von Anforderungen der Unternehmen, die zu erfüllen sind, sondern von einer Lernreise primär aus Sicht der Lernenden. Sie entscheiden, ob sie das, was sie lernen, für richtig empfinden. Die Aufgabe des Unternehmens: „Vorhandene Touchpoints können optimiert und Dissonanzen bzw. Irrelevanzen beseitigt werden.“ Lernen soll nicht mehr auch anstrengend sein, gelegentlich hart und manchmal auch weh tun. Die Nanny räumt die Ecken und Kanten aus dem Weg, damit aus den – ich hasse solche Buzzwords – Touchpoints keine Painpoints werden: „Ziel muss es sein, in der Weiterbildungsmaßnahme einen Mix aus möglichst positiven Erfahrungen an möglichst allen Interaktionspunkten zu generieren.“
Ich gestehe, ich kann hier kaum an mich halten. Mein Bullshit-Detektor schlägt maximal aus. Ein weiteres Beispiel: „Weiterbildungsverantwortliche [dürfen] nicht von ihren eigenen Vorstellungen ausgehen („Ich bin ja schließlich hier der Weiterbildungsexperte!“). Stattdessen sollten sie diejenigen direkt befragen, für die eine Weiterbildungsmaßnahme gestaltet werden soll.“ Ich kenne das nur zu gut. Meine Studierende sagen solches bei der Klausureinsichtnahme auch gelegentlich: „Aber ich habe da doch einiges geschrieben. Warum bekomme ich denn keine Punkte dafür?“ Meine Antwort: „Weil Sie Quatsch geschrieben haben.“ Punkt. Ich bin halt ein Babyboomer … und habe noch Ansprüche.
Eine Realsatire
In dieser Tonart geht es dann leider weiter im Beitrag: Wir brauchen Personas für die „Learner Journey“. Und dann spielen wir Szenarien durch – damit sich die Lernenden auch richtig wohlfühlen. Die Weiterbildungsreise wird als Route visualisiert. So fehlt bloß noch das Happy End, das via Maßnahmenplan vorbereitet wird. Selbstredend, dass hierfür vor allem die Painpoints der Learner Journeys eliminiert werden müssen. Was für eine beißende Satire! Ich hätte beinahe drüber lachen können – wenn es mir nicht im Halse stecken geblieben wäre: Die Autorin scheint es aber ernst zu meinen …