INSPIRATION: Das Thema schafft es immer wieder auf die Titelseiten: Die Menschen haben keine Lust mehr auf Leistung. Sie wollen mehr Freizeit, mehr Urlaub, mehr „Work-Life-Balance“ und was auch immer. Das Wunderbare an solchen Überschriften ist ja, dass diejenigen, die damit um sich werfen, immer und ohne Ausnahme natürlich die anderen meinen. Das ist ein bisschen so wie der „Fun Fact“, dass die Mehrzahl der Autofahrer sich für besser als der Durchschnitt hält.
Blicken wir also – nicht zum ersten Mal – ein wenig hinter die reißerische Überschrift. Haben wir tatsächlich immer weniger Lust auf Leistung? Stopp, sagt Ingo Hamm („Uns droht ein kollektiver Eskapismus“), zuerst müssen wir mal klären, was das eigentlich sein soll: Leistung. Verstanden als „sich gewahr werden über die Kraft als Individuum, Dinge zu erschaffen, zu bewegen und ganz konkret mit den eigenen Händen etwas zu machen“ – darauf dürften die Menschen in der Regel noch ganz viel Lust haben.
Nicht umsonst sagen 80% von befragten Handwerkern, dass ihr Beruf sie glücklich macht, während vom der Rest der Bevölkerung dies nur 50% von sich behaupten. Da ist ja viel Wahres dran: Viele sehen nicht mehr das Ergebnis ihres Tuns. Nur ist das kein neues Phänomen, wird aber durch die Digitalisierung noch verstärkt. Konsequenz daraus: Den Beschäftigten muss unbedingt der Zugang zum Ergebnis ihres Tuns verschafft werden. Eine Möglichkeit dazu ist sicher, die Kunden ins Haus zu holen, eine andere, regelmäßig über Kundenfeedback zu informieren.
Dann sind da die vielen Krisen. Wenn rund um uns herum alles immer schlimmer zu werden scheint, dann verliert auch das eigene Wirken an Reiz. Wozu sich anstrengen, wenn ja doch alles den Bach runter geht. Kein Wunder, dass die Menschen sich erschöpft fühlen. Nicht unbedingt, weil der Job so anstrengend ist. Das kennen wir doch alle: Wenn wir mal richtig reingeklotzt haben und erschöpft nach Hause gehen, dann fühlt sich das durchaus noch gut an – die Erschöpfung kann man sogar genießen. Aber nicht, wenn wir uns mutlos, ratlos, hilflos fühlen und deshalb erschöpft sind. Was hilft hier: Reden, sich mit anderen austauschen, auf das schauen, was man gemeinsam erreichen kann und möchte. Ein Job für Führungskräfte.
Absolute Kompetenzorientierung
Und dann die Sache mit der Motivation. Wenn auf der einen Seite Menschen entlassen und in den Vorruhestand geschickt werden, obwohl sie noch im Vollbesitz ihrer Kräfte sind, auf der anderen die begehrten Fachkräfte aber mit jedem nur möglichen Köder angelockt werden, dann geht die intrinsische Motivation verloren. Abhilfe kann hier nur eins schaffen: Den Menschen zu Tätigkeiten verhelfen, die zu ihren Kompetenzen passen. In denen sie die oben angesprochene Wirkung erzielen können.
Und hier wird es spannend – aber auch das haben wir schon oft beschrieben. Es geht darum, sich schon während der Bewerbungsphase genau anzuschauen, wo ein Kandidat seine Kompetenzen ideal einbringen kann. Und vom ersten Tag im Unternehmen immer wieder nachzuhören, ob ihr genau das im aktuellen Job möglich ist. In der Tat, das kostet viel Zeit und gelingt nicht in jährlichen formalisierten Mitarbeitergesprächen. Dazu muss man sich mit den Menschen individuell auseinandersetzen, mitbekommen, wenn ihnen der Sinn – warum auch immer – abhanden zu kommen droht.
„Absolute Kompetenzorientierung“ nennt Ingo Hamm das. Womit – mal wieder – die Führungskräfte gefordert sind. Was nach meinem Eindruck aber in den meisten Fällen einfach zu viel verlangt wird. Ohne den Führungskräften den Vorwurf zu machen, dazu nicht in der Lage zu sein – ich denke, dass in der Regel ihr Job das gar nicht zulässt. Wie viel besser wäre es doch, Teams so aufzustellen, dass jeder darin genau den Platz findet, der zu ihm passt. Sich also schon bei der Konzeption von Jobs und Arbeitsplätzen zu überlegen, wie Mitarbeitende auf ihnen ihre Kompetenzen einbringen können.
Und regelmäßig im Team die Frage auf die Tagesordnung setzen, was jedes Mitglied noch benötigt, um die optimale Wirkung (= Leistung) zu erbringen. Ganz ehrlich – ich kapiere einfach nicht, was daran so schwierig ist.